Goldfieber
eins der schweren Boote unter die tief hängenden Zweige eines Buschs. Noch immer ist es so düster, dass man kaum zehn Schritte weit sehen kann. Dort oben über der Böschung beginnt der Wald. Doch eine Mauer, eingefallen oder nicht, kann ich weit und breit nicht entdecken.
Sandoval fasst mich am Unterarm. »Bleib dicht neben mir, Orteguilla«, sagt er dicht an meinem Ohr. »Und keine Angst, ich werde dich behüten.«
»Ich habe keine Angst«, flüstere ich zurück, doch dabei klappern mir die Zähne.
Der »Tollkühne« tätschelt mir die Schulter. »Dann ist es ja gut«, sagt er. »Los geht’s, Junge!«
- 8 -
Wir bahnen uns einen Weg durch das Dickicht und nach einem Dutzend Schritten stehen wir vor einem doppelt mannshohen Wall. Es ist dieselbe Art Mauer wie vorn bei dem Torturm, nur dass der Wall hier mit Moos überzogen und dunkel vor Nässe ist. Ein paar Schritte linkerhand hat eine Würgefeige ihre Wurzeln ins Mauerwerk hineingetrieben und die Steine regelrecht zersprengt. Eine Bresche klafft dort in der Mauer, breit genug, dass sich ein ausgewachsener Mann mit der Schulter voran hindurchzwängen kann. Außer er trägt eine Rüstung oder hat einen Leibesumfang wie Portocarrero.
Ich zerbreche mir den Kopf, wie Alvarado und seine Männer diese versteckte Lücke im Stadtwall gefunden haben. Aber es ist wieder einmal kein guter Zeitpunkt zum Grübeln. Oder, wie Diego sagen würde: Die meisten Fragen, mit denen du dich herumquälst, Orte, sind es gar nicht wert, gestellt zu werden.
Er meint es nicht böse, sage ich mir, und er ist wirklich fast noch ein Kind. Währenddessen schiebt mich Sandoval vor sich her, auf das Loch in der Mauer zu. Die Hälfte unserer Männer ist bereits hindurch. Ich krieche hinter ihnen her und stolpere drinnen über einen herumliegenden Mauerbrocken.
»Leise, Bursche!«, zischt mir jemand ins Ohr.
Zwischen den Bäumen schien es noch beinahe nachtdunkel zu sein. Aber hier in der Stadt, ohne das Gewölbe der Äste über uns, ist es fast schon heller Tag. Wir stehen am Ende einer schmalen Gasse, die tatsächlich auf beiden Seiten von Ruinen gesäumt wird. Doch auf dem kleinen Platz am anderen Ende geht es schon weit lebhafter zu.
Ich erkenne Schemen, die dort im ersten Morgenlicht vorüberschlendern oder eilig irgendeinem Ziel entgegenhasten. Hähne krähen, Hunde kläffen – ganz offensichtlich beginnt die Indianerstadt zu erwachen. Weshalb um Himmels willen glauben Cortés und seine Vertrauten, dass wir ihnen »Beine machen« könnten,indem wir am helllichten Tag mit drei Dutzend Männern in ihre Stadt eindringen? Sie werden ganz im Gegenteil uns die Beine abschneiden , wie es Aguilar von den Menschenopferzeremonien erzählt hat! Die Beine werden sie uns abschneiden, wiederhole ich mir im Stillen, und die Arme sowieso – und vorher reißen sie uns bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust!
Mein armes, unergründliches Herz, denke ich, während ich, geduckt wie Sandoval, hinter ihm und den anderen die Gasse entlanggehe. Mein Herz, das mir in der Brust hämmert, wie ein zum Tode verurteilter Häftling mit der Faust an seine Kerkertür schlägt. Ohne jede Hoffnung, dass ihm die Flucht noch gelingen könnte, und doch hämmert er unaufhörlich weiter, längst irrsinnig geworden vor Angst.
Als wir den kleinen Platz am Ende der Gasse erreichen, ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Anscheinend haben uns die Einwohner bemerkt und sich in ihre Behausungen zurückgezogen. Der Platz ist kreisrund und in alle Himmelsrichtungen zweigen Straßen ab. Einige sind mit jenem harten Stuck überzogen, andere bestehen bloß aus gestampftem Lehm. Anscheinend befinden wir uns in einem eher bescheidenen Außenbezirk von Potonchan. Doch selbst hier leben die Menschen nicht in Hütten, sondern in eingeschossigen Ziegelhäusern. Und die prachtvoll bemalten Tempel und Pyramiden im Innern der Stadt leuchten in der Morgensonne bis hier herüber und bestrahlen selbst diese ärmlichen Häuser mit ihrem Glanz.
»Wo würdet ihr das Gold horten?«, fragt einer von Sandovals Männern und gibt sich gleich selbst Antwort. »Natürlich in einem der Teufelspaläste da drüben.«
Der »Tollkühne« begnügt sich mit einem Nicken. Er setzt sich an die Spitze unseres kleinen Zugs, und ich beeile mich, zu ihm aufzuschließen.
Hinter uns tuscheln und murmeln die Männer. Einige von ihnen kenne ich beim Namen – den würdevollen Cristóbal deTapia oder auch den narbenreichen Gonzalo Guerrero, dem der Ruf
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