Goldfieber
Indianer können gar nicht zurückweichen – von allen Seiten, aus sämtlichen Ecken und Gassen drängen immer noch mehr von ihnen herbei.
»Orteguilla!«, ruft mir Sandoval zu. »Bleib dicht bei mir!«
Bevor ich ihm irgendetwas antworten kann, erschallt vom Fluss her ein furchtbarer Donnerknall.
»Die Artillerie!«, schreit einer unserer Männer. »Es geht los!«
Die Indianer um uns herum brüllen wie aus einer einzigen Kehle auf. Ein weiterer Kanonenschuss donnert los und lässt die Stadt erzittern. Das Krachen der Feldschlange und das Geheule um uns herum sind so grauenvoll laut, dass es mir in den Ohren klingelt. Alle rennen panisch durcheinander und wir werden hilflos mitgerissen, erst in Richtung Torturm, dann wieder zurück ins Innere der Stadt.
Ich versuche, mir darüber klar zu werden, was hier überhaupt passiert. Mittlerweile muss Cortés mit unserer Streitmacht da draußen auf dem Vorplatz aufmarschiert sein, und weil die Indianer ihm abermals nicht gebracht haben, was er von ihnen verlangte, hat er seine Drohung wahrgemacht und die Stadt angegriffen. Aber warum hat einer von Sandovals Männern eben gerufen »Es geht los!«? Heißt das etwa, dass Cortés, Sandoval und die anderen alles so geplant haben – den Angriff vom Fluss her, während wir noch hier in der Stadt sind?
Glücklicherweise ist Sandoval so hochgewachsen, dass ich ihn auch im ärgsten Gedränge nicht aus den Augen verliere. Der Schweiß läuft mir aus den Haaren, während ich hinter ihm her haste, umschlossen von einem rennenden Ring aus unseren Männern, die uns mit Schwertern und Schilden schützen. Doch die Indianer sind sowieso viel zu durcheinander, um uns ernsthaft anzugreifen.
Alte Männer und Frauen bringen sich in Sicherheit, so rasch sie können. Auch Krieger mit Speeren und Schwertern rennen mittlerweile in großen Scharen durch die Straßen. Anscheinend haben sie Befehl, zum Torturm zu eilen, um ihre Stadt gegen den Angriff vom Fluss her zu verteidigen. Nur gelegentlich schwirrt ein Pfeil herbei und bleibt in einem unserer Schilde stecken. Ein halbes Dutzend Krieger mit gezähnten Holzschwertern beobachtet uns von einer Gasse aus, doch offenbar kommen sie zu dem Schluss, dass es nicht ratsam ist, uns anzugreifen. Oder vielleicht auch nicht nötig, da wir sowieso in der Falle sitzen.
Dann kracht zum dritten Mal ein Kanonenschlag, gefolgt von grässlichem Dröhnen und Bersten. Offenbar hat die Stadtmauer einen Treffer abbekommen. Selbst aus einer Entfernung von einer Meile oder mehr ist deutlich zu hören, wie ungeheure Steinmassen in sich zusammensacken. Im nächsten Moment beginnen die Indianer wieder durcheinanderzuschreien, nun aber sind es Schreie voll wilder Wut.
Mit verdoppelter Eile rennen nun alle in Richtung Norden, auf den Torturm zu. Wiederum werden wir mitgerissen, doch jetzt richtet sich der Zorn der Indianer auch gegen uns. Eine Hundertschaft bewaffneter Krieger kreist uns ein und drängt uns von dem rechteckigen Tempelplatz zurück in eine schmale Straße.
»Wo bleibt denn Alvarado?«, ruft Guerrero. »Müssten er und Avila nicht längst hier sein?«
»Bestimmt sind sie das auch!«, antwortet Sandoval.
Er zieht ein Horn unter seinem Umhang hervor und setzt es an die Lippen. Der Klang steigt wie eine Frage in den Himmel empor und nach nicht einmal zwei Atemzügen antwortet ihm ein zweites Horn.
»Alvarado ist da!«, ruft Guerrero. »Dann nichts wie hin zu ihm und seinen Männern. Hier wird es allmählich ungemütlich!«
»Ungemütlich« ist stark untertrieben. Die Indianer haben uns in eine Sackgasse abgedrängt und beschießen uns mit Hageln von Pfeilen. Nachdem sie ihre Pfeile verschossen haben, dringen sie mit den gezähnten Holzknüppeln, mit Spießen und Streitäxten auf uns ein.
»Das schaffen wir nicht«, ruft Sandoval. »Nur wegen dir, Gonzo! Hättest du dich nicht einen Moment noch zusammenreißen können?«
»Das verfluchte Gold!«, schreit Guerrero zurück. »Du kennst das doch selbst, oder nicht? Ich sah die verdammte Goldquaste funkeln – und da kam es über mich!«
Das Goldfieber, denke ich, die irrsinnige Begierde nach demgelben Metall! Einer von Sandovals Männern bricht direkt neben mir zusammen, einen Pfeil in der Brust. Der »Tollkühne« schaut kurz zu ihm hin, dann schwingt er sein Schwert mit der Rechten hoch empor. Rasch wende ich meinen Blick ab – ich weiß auch so, dass unsere Schwerter unter den Indianern ein grässliches Blutbad anrichten. Ihre Knüppel zersplittern
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