Goldfieber
hierhergeschickt!
Und dann wird mir mit einem Schlag klar, was wir in den Augen der Maya von Potonchan sind. Ich stöhne sogar leise auf, so grell durchzuckt mich diese plötzliche Einsicht. Sie sehen in uns genau dasselbe wie wir in ihnen , sage ich mir: Für sie sind wir Wilde! Stinkende, barbarisch wilde Männer, die von ihren Sitten und Gebräuchen nichts verstehen!
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Ich weiß nicht, wie lang ich über diesem Gedanken nachgegrübelt habe: Wir halten sie für Wilde – und sie uns genauso! Als ich irgendwann wieder um mich schaue, marschiere ich immer noch dicht hinter Sandoval, und die Menge um uns herum ist noch weiter angewachsen. Mittlerweile müssen es weit mehr als Tausend Indianer sein, die uns umringen, uns rufend und lachend voraus- oder hinterherlaufen.
Ich recke meinen Hals und drehe mich hin und her, so gut das in der zähen Menschentraube geht. Anscheinend haben wir das Innerste der Indianerstadt erreicht. Wir befinden uns am Rand eines rechteckigen Platzes, der von prachtvollen Bauten gesäumt ist. Von Pyramiden, Tempeln und Palästen, und jedes dieser Bauwerke scheint darum zu wetteifern, das am kunstfertigstenverzierte zu sein. Mit gemeißelten Götterfratzen, die ungemein finster dreinschauen, und mit bunten Reliefbändern, die eine Art Bilderschrift darstellen.
Die Sonne steht mittlerweile hoch am Himmel. Bald schon wird sie ihren höchsten Stand erreicht haben, und als mir klar wird, was das bedeutet, setzt mein Herz für einen Schlag aus. In allenfalls einer halben Stunde wird Cortés mit unserer Streitmacht da draußen vor dem Stadttor aufmarschieren! Und wenn die Indianer ihm dann nicht bringen, was er von ihnen verlangt hat, und er daraufhin seine Drohung wahrmacht und die Stadt angreift – dann, spätestens dann werden die Indianer uns hier drinnen allesamt töten! Sie werden uns niederwerfen und auf ihre Opfersteine binden, damit ihre Priester uns die Herzen aus der Brust schneiden!
Wir müssen uns zurückziehen, will ich zu Sandoval sagen. Bestimmt hat er diese Gefahr ja längst erkannt, aber warum spaziert er dann weiter seelenruhig in der Indianerstadt umher? Doch ich komme nicht dazu, den »Tollkühnen« danach zu fragen.
Gerade in diesem Moment packt der narbenreiche Guerrero einen Indianer und reißt ihm irgendetwas von seinem Gewand ab. »Orooj!« , schreit er. »Tu’ux?«
Mittlerweile kenne auch ich genügend Brocken Chontal, um zu verstehen, was Guerrero von dem Indianer will. Außerdem schwenkt er den Gegenstand, den er ihm eben vom Kragen abgerissen hat – eine goldene Troddel oder Quaste, die das Ende einer fingerdicken Kordel aus geflochtenen Goldfäden bildet.
»Orooj – tu’ux?« , schreit Guerrero. »Gold – wo?« Dazu schwenkt er die goldene Kordel mit der Quaste in der Luft und hält den Indianer mit der anderen Hand am Kragen gepackt.
Ich brauche nicht in sein Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass Guerreros Augen vor fiebriger Begierde glitzern. So wie die Augen seiner Gefährten, die jetzt seinem Beispiel folgen und wild durcheinanderschreien.
»Wo habt ihr das Gold versteckt, ihr verfluchten Wilden?«, brüllt einer von ihnen.
»Wir wollen es ja nicht umsonst!«, schreit ein anderer unserer Männer. »Wir werden euch gut bezahlen!«
Voller Erstaunen stelle ich fest, dass es der sonst so auf seine Würde bedachte Cristóbal de Tapia ist. Sein bleiches Gesicht mit dem langen, ein wenig vorstehenden Kinn ist mit roten Flecken gesprenkelt. Seine Augen funkeln, seine Hände zittern. Er fasst unter seinen Umhang und bringt eine Handvoll glitzernder Glasperlen zum Vorschein.
»Ihr bekommt Perlen!«, schreit er. »Perlen, so viel ihr wollt! Aber jetzt verratet uns endlich, wo ihr euer dreckiges Gold versteckt!«
Die Stimmung wird mit einem Mal frostig. Die Indianer starren uns an, und in ihren Gesichtern kann ich keine Neugierde, schon gar keine Heiterkeit mehr erkennen. Nur noch Feindseligkeit und Zorn. Einer von ihnen versetzt Tapia einen Stoß. Die Glasperlen fliegen in hohem Bogen in die Luft und prasseln dann wie bunte Tropfen auf uns herunter.
»Verdammt, Cristo!«, ruft Sandoval. »Ruhig bleiben, habe ich gesagt!«
Von allen Seiten drängen die Indianer auf uns ein. Die Enge ist so entsetzlich, dass ich keine Hand mehr regen kann. Unsere Männer sind mit Schwertern und Schilden bewaffnet, aber in diesem Gedränge ist es so gut wie unmöglich, die Waffe blank zu ziehen. Guerrero und einige andere schlagen mit ihren Schilden um sich, doch die
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