Goldfieber
Stadt. Sie versicherten nur immer wieder,dass sie von Ungeheuern angegriffen worden seien – Mischwesen, halb Menschen mit Eisenhaut und halb Hirsche ohne Geweih. Ich glaube«, fügt Cortés hinzu, »sie haben bis jetzt noch nicht begriffen, dass die Männer, von denen sie verhört wurden, dieselben waren, die vorher auf den Pferden sitzend gegen sie gekämpft hatten.«
Er bleibt mit dem Rücken zu mir vor einer Fensterluke stehen und schaut auf die Straße hinaus. »Aber auch an die Pferde werden sie sich bald gewöhnt haben«, sagt er, »und was dann? Weitere Geheimwaffen haben wir nicht. Und auch wenn wir nun weiter ins Landesinnere vordringen werden – die Botschaft, dass wir feuerspeiende Feldschlangen und schnaubende Zentauren mit uns führen, wird uns windesschnell vorauseilen.«
Ich stehe auf und gehe zu Cortés hinüber. »Ihr wollt weiter ins Landesinnere, Herr?«, frage ich.
Er dreht sich um und sieht mich so starr und ausdruckslos an, wie nur er das kann. »Morgen früh wird der Herrscher von Potonchan hier erscheinen und mir irgendwelche Geschenke übergeben«, antwortet er. »Um uns friedlich zu stimmen und vor allem, um uns zum Abzug zu bewegen. Natürlich wird es nicht der wirkliche Herrscher sein, sondern irgendein Indianer, den sie für diese Aufgabe ausgesucht haben. Aber glaubst du wirklich, Orteguilla, dass er mir den Goldschatz seines Königs zu Füßen legen wird?«
Ich schüttele meinen Kopf – behutsam, denn unter dem Verband klopft der Schmerz wieder stärker. »Er wird wieder nur Truthahn und Maisfladen bringen«, sage ich.
Cortés lächelt mich an, doch seine Augen bleiben wachsam. »Aber vielleicht findest du ja noch heraus«, sagt er, »wo sie ihr Gold verborgen haben.«
»Ich, Herr?«, frage ich. »Wie stellt Ihr Euch das vor?«
Cortés legt mir einen Arm um die Schultern und zieht mich mit sich, zur Treppe zurück. »Letzte Nacht sandte mir Gott derHerr wieder einen Traum«, sagt er. »Ich sah dich, Orteguilla, mit einem ungeheuren Haufen goldener Masken und Figuren, die vor dir aufgehäuft lagen. Also denke nach, geh in dich, versuche vor allem, dich zu erinnern! Du besitzt den Schlüssel zum Goldschatz von Potonchan. Wenn deine Erinnerung zurückgekehrt ist, wirst du auch wissen, wo das Gold ist.«
Mein Herz beginnt, wie irrsinnig zu hämmern, und einen Moment lang befürchte ich, dass meine Beine unter mir zusammenklappen werden. Aber ich schaffe es erneut, mir nichts anmerken zu lassen.
»Ich will mich bemühen, Herr«, gelobe ich mit halbwegs fester Stimme.
Cortés versetzt einem der bunt beschrifteten Falthefte einen Tritt. »Und bevor wir von hier weggehen«, sagt er abschließend, »werden wir diese Teufelsbibliothek natürlich niederbrennen.«
- 4 -
Nach diesem sonderbaren Zwiegespräch mit unserem Herrn bin ich wie von Sinnen. Mein Herz rast, das Blut rauscht mir in den Ohren. Wundarzt Jeminez murmelt etwas von wiederkehrendem Fieber und befiehlt mir, mich erneut auf meine Matte zu legen. Bereitwillig befolge ich seine Weisung – hier im Krankensaal lassen sie mich zumindest in Ruhe.
Bevor es so weit ist, erscheint allerdings erst noch Cristóbal de Tapia an meinem Krankenlager. Mit würdevollen Verneigungen beteuert er, dass er mir auf ewig dankbar sein werde. »Wenn ich dir irgendwie einmal gefällig sein kann, Orteguilla de Villafuerte, lass es mich wissen«, verkündet er. »Für den Retter meines Lebens werde ich keinerlei Mühen scheuen!«
Ich murmele »Ihr seid zu gütig« oder etwas Ähnliches und flattere mit den Lidern, so als ob ich die Augen nicht länger aufhalten könnte. Endlich zieht er sich zurück und kurz darauf lässt mich auch Diego allein.
Zusammengerollt wie ein Teppich liege ich in meinem Winkel in der Säulenhalle und versuche, meine Gedanken zu ordnen und, mehr noch, mein tobendes Herz zu beruhigen.
Wer ist das Mädchen?, frage ich mich ein ums andere Mal. Warum hat sie mir beigestanden? Und dann wieder: Ist sie der »Schlüssel zum Goldschatz«, von dem Cortés geträumt hat? Dass unserem Herrn wirklich dieser Traum gesandt wurde, bezweifle ich keinen Augenblick lang. Schließlich hat er sogar vorausgesehen, wie viele Truthahnrationen uns die Indianer vor ihr Stadttor bringen würden. Er hat prophezeit, dass und wann Melchorejo die Flucht ergreifen würde – und wieder ist alles so gekommen, wie er es vorausgesagt hat.
Werde ich hier in Potonchan also wirklich ungeheure Mengen goldener Masken und Figuren finden, wie sie Cortés
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