Goldfieber
sind es Häuptlinge verschiedener Dörfer und Stämme aus den umliegenden Bergen, sage ich mir, und der Gefiederte, der ihnen voranschreitet, wird sich zweifellos als Herrscher von Potonchan ausgeben.
In einem Abstand von ein paar Dutzend Schritten folgen dreißig oder vierzig weitere Indianer. Sie tragen gleichfalls Federschmuck auf den Köpfen, doch ihre Oberkörper sind entblößtund wie ihre Gesichter bunt bemalt. Auf dem Rücken schleppen sie Lastkörbe, die mit Tragebändern an ihrer Stirn befestigt sind. Etliche von ihnen ziehen außerdem vermummte Gefangene hinter sich her.
»Wen zerren sie denn da herbei?«, murmelt einer der verwundeten Männer in meiner Nähe.
Die Gefangenen tragen Säcke aus Pflanzenfasern über den Köpfen. Ihre Körper sind bis zu den Füßen in unförmige Gewänder gehüllt.
»Das sieht ganz so aus«, rätselt ein Zweiter, »als wollten sie Gefangene austauschen – dabei haben sie doch keinen Einzigen von uns geschnappt!«
»Und wenn sie einen von uns erwischt hätten«, mischt sich der Nächste ein, »dann hätten sie ihn längst dem Teufel geopfert und seine Arme und Beine aufgefressen, wie es Aguilar erlebt hat!«
- 5 -
Angespannt sehe ich zu, wie sich der (angebliche) Herrscher von Potonchan und sein Gefolge dem palmgeschmückten Podest auf dem Tempelplatz nähern. Dort thront unser Herr mittlerweile auf einer Art Flechttruhe, unter einem Baldachin, der ihn vor der ärgsten Hitze schützt. Die Sonne steht schon wieder hoch am Himmel, dennoch trägt Cortés seinen schwarzen Samtumhang und den federgeschmückten Hut. Die goldenen Troddeln an seinem Gewand und die Goldfäden in seinen Strümpfen funkeln bis zu mir herüber. Links und rechts von ihm stehen seine drei Vertrauten. Auch sie haben ihre kostbarste Feiertagskleidung angelegt. Portocarreros Gesicht ist feuerrot, und obwohl er seine Stimme zu dämpfen versucht, dröhnen seine Flüche über den Platz.
Auf dem Podest vor Cortés kauert der Tätowierte. Einen Schritt hinter der Flechttruhe entdecke ich den Notar Pedro Gutierrez, der mit eingezogenem Kopf unter dem Baldachin steht. Er hältein großes schwarzes Buch vor seine Brust gedrückt – zweifellos das Requerimiento .
Der angebliche Herrscher der Indianerstadt kniet vor dem Podest nieder, beugt seinen Oberkörper weit nach vorn und stülpt die Lippen vor, als wollte er den Boden küssen. In dieser Haltung faucht er einige Worte hervor und richtet sich wieder auf.
»Der König von Potonchan grüßt Euch ehrerbietig, Caudillo«, ruft Aguilar mit lauter Stimme, »und er bittet Euch um Frieden!«
Cortés sieht sein Gegenüber durchbohrend an. »Ich, Hernán Cortés, der Statthalter des einen und allmächtigen Gottes«, sagt er, »heiße den Herrscher von Potonchan im Namen des Heiligen Vaters und des Königs von Spanien willkommen. Übergib mir sieben Körbe voller Gold, so will ich mit dir Frieden schließen.«
Aguilar übersetzt und die Miene des Gefiederten wird bei jedem Wort grimmiger. »Du wirst heute zahlreiche Geschenke von mir erhalten, bärtiger Fremdling«, antwortet er, »goldene Kunstwerke und anderes, das weit kostbarer ist als Gold.«
Er wendet sich um und macht eine gebieterische Handbewegung. Die Krieger mit den Körben auf dem Rücken nähern sich dem Podest und ziehen die vermummten Gefangenen hinter sich her. Sie setzen ihre Körbe ab und reihen sie nebeneinander am Rand des Podestes auf.
Der Gefiederte greift scheinbar wahllos in einzelne Körbe hinein, hebt goldene Masken, Figuren aus Türkisstein und bunt bemalte Holzscheiben in die Höhe. »Dies alles sind kostbare Kunstwerke«, erklärt er, »und es schmerzt mich sehr, sie Euch überlassen zu müssen. Aber Ihr habt uns im Kampf besiegt, und so dürfen wir uns nicht beklagen. Eure Götter waren diesmal stärker als die unseren.«
Der angebliche Herrscher von Potonchan legt die Masken und sonstigen Kunstwerke in die Körbe zurück und wendet sich abermals um. Auf ein Zeichen von ihm ziehen seine Männer denzwanzig Gefangenen fast gleichzeitig die Tücher von den Köpfen herunter. Ein Raunen und Stöhnen geht über den Platz.
Erstaunt schaue ich mich um, und da erst fällt mir auf, dass rings herum im Schatten der Pyramiden und Paläste unzählige unserer Männer aufgereiht stehen. Anscheinend ist jeder, der nicht irgendwo anders in der Stadt, im Lager am Fluss oder bei den Schiffen an der Küste Wache halten muss, herbeigeeilt, um mitzuerleben, wie sich die Indianer von Potonchan unserem
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