Goldfieber
letzte Eckchen bedeckt.
»Ein Lese- und Schreibsaal«, sage ich und kann es selbst kaum glauben. »Habe ich recht, Herr?«
Ich kauere mich auf eine Flechtmatte und nehme eins der beschriebenen Blätter zur Hand. Es fühlt sich an wie ein dünnes Tuch aus Pflanzenfasern, das mit einer lackartigen Oberfläche versehen worden ist.
Cortés nickt mir zu. »Jeder dieser Krüge«, sagt er und deutet auf die Wandregale, »enthält eines oder mehrere solcher Bücher. Die Tonkrüge sollen sie offenbar vor der Feuchtigkeit beschützen. Es sind Tausende Bücher – eine ganze Teufelsbücherei!«
Er schüttelt den Kopf und beginnt, in der Indianerbibliothek auf und ab zu gehen. »Meine Männer«, sagt er, »reden von den Indianern immer noch so, als ob es Wilde wären, Waldmenschen, halbe Tiere. Aber du und ich wissen, dass das nicht wahr ist, Orteguilla. Sie können lesen und schreiben. In dieser Stadt hier stehen prächtigere Bauten als in den meisten Städten der Alten Welt.«
Erneut wirft er mir einen forschenden Blick zu. Allmählich wird mir dieses Zwiegespräch unheimlich. Unser Herr hat mich schon mehr als einmal in sein Vertrauen gezogen, aber niemals vorher in solchem Maß. Und nie zuvor hatte ich so wie heute das Gefühl, dass er gleichzeitig einen leisen Argwohn gegen mich hegt.
»Wir müssen schleunigst ergründen, was wirklich in diesen Indianern vorgeht«, fährt er fort. »Wie sie denken und fühlen,was sie fürchten und was sie begehren – nur wenn wir das herausbekommen, werden sie uns verraten, wo ihre Goldschätze verborgen sind.«
Er geht weiter auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »In den letzten Tagen haben wir mehr oder weniger die ganze Stadt durchsucht«, erzählt er mir. »Wir haben alle gefangenen Indianer verhört, aber sie behaupten nur immer wieder, dass es hier in der Gegend kein Gold gebe. Bis auf ein paar kleine Figuren und Masken haben wir tatsächlich nichts gefunden. Auch die Schneiden ihrer Streitäxte sind nicht aus Gold, wie wir anfangs geglaubt haben – es sind Kupferbeile, die sie wohl mehr zur Zierde mit sich herumtragen. Jedenfalls polieren sie das Metall, bis es beinahe wie Gold glänzt. Aber wie dem auch sei: Ich rieche , dass es hier irgendwo gewaltige Goldmengen geben muss.«
Direkt vor mir bleibt er plötzlich stehen und legt mir seine Hände auf die Schultern. »Sie haben das Gold vor uns versteckt«, sagt er, »und mit deiner Hilfe werde ich es finden.«
Ich muss schlucken. Es ist wie ein Krampf. Das Mädchen fällt mir wieder ein, und erneut spüre ich, dass ich Cortés auf gar keinen Fall von ihr erzählen darf. Ich öffne meinen Mund, aber außer krampfhaften Schluckgeräuschen dringt nichts daraus hervor.
»Verzeiht, Herr«, gelingt es mir schließlich zu sagen. »Meine Verwundung …« Ich taste über den Verband an meinem Hinterkopf. Die Beule darunter fühlt sich uneben an, wie mit schorfigen Höckern bedeckt.
Cortés nimmt mich beim Arm und führt mich zu einer steinernen Bank, die in die Turmwand eingelassen ist. Ich lasse mich darauf fallen und versuche verzweifelt, meine Gedanken zu ordnen.
»Und jetzt heraus mit der Sprache«, sagt unser Herr, »was ist dir Besonderes aufgefallen, als du mit Sandoval hier herumgelaufen bist?«
- 3 -
»Es ist nur sehr wenig, Herr«, beginne ich zögernd, »und bestimmt werdet Ihr finden, dass auch dieses Wenige für Euch wertlos ist.«
Ich gebe mir einen Ruck. Jetzt will ich es nur noch hinter mich bringen, egal was danach geschieht.
»Sie halten uns für Wilde«, presse ich hervor, »genauso wie wir geglaubt haben, dass sie Wilde sind!«
Ich rechne schon damit, dass er mich auslachen oder verärgert wegschicken wird. Aber Cortés schaut mich nur erstaunt an und gleich darauf wird sein Gesichtsausdruck nachdenklich.
Er setzt sich neben mich auf die Mauerbank. »Wie kommst du darauf?«, will er wissen.
»Für ihre Nasen scheinen wir nicht gerade Wohlgeruch zu verströmen«, sage ich, »und bei ihnen sind auch die erwachsenen Krieger weder im Gesicht noch an Handrücken oder Armen behaart. Aber das allein ist es nicht.«
»Was ist es dann?«, fragt mich Cortés.
Ich überlege hin und her, wie ich es ihm – und vor allem erst einmal mir selbst – erklären soll. »Es ist nur ein Eindruck, kaum mehr als eine Ahnung«, sage ich. »Sie glauben, dass ihre Welt wertvoller und höher entwickelt ist als unsere. Für sie sind wir die Barbaren, die von ihren Sitten und Gebräuchen nichts verstehen. Und
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