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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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mir mit ihrer flachen Hand über die Brust. »Conetlecatl« , wiederholte sie und lachte mich an. »Ichpochtli.« Erneut deutete sie auf sich selbst.
    Ich tippte mir gegen die Stirn und lachte gleichfalls auf. »Du bist ein Mädchen und ich bin ein Junge!«, sagte ich. »Entschuldige, ich bin nicht der Schnellste. Aber was ich einmal verstanden habe, vergesse ich nie mehr. Du bist eine Ichpochtli und ich bin ein Conetlecatl.«
    Sie schaute mich aufmerksam an, während ich das sagte, und ihre Lippen zuckten, als wäre sie kurz davor, laut herauszuprusten. »Mädchen«, sagte sie dann und deutete erneut auf ihre Brust. »Junge.« Sie zog ein grimmiges Gesicht und versetzte mir mit ihrer kleinen braunen Faust einen spielerischen Schlag auf den Brustkorb.
    Ich gab ein übertriebenes Japsen von mir, so als ob mir durch ihren Hieb wirklich die Luft weggeblieben wäre. Carlita schaute mich besorgt und reuig an und auf einmal glitt ihre Hand unter mein Gewand und legte sich auf mein heftig pochendes Herz.
    »Yollotli« , sagte sie. Ihre kühle kleine Hand auf meinem Herzen zu fühlen war das Beste, was mir in meinem Leben jemals passiert war – jedenfalls kam es mir in diesem Moment so vor.
    »Yollotli« , murmelte ich. »Herz.« Ich ermahnte mich zu atmen, denn mir wurde schon wieder schwummrig. Ihuiyohuia . Atmen. »Ich will dich umarmen und küssen, Carlita«, murmelte ich. »Es gibt auf der ganzen Welt nichts, was ich lieber möchte, als dein Herz an meinem zu fühlen und deine Lippen auf meinem Mund.«
    Sie verstand alles, was ich sagte, und alles, was ich nicht sagte, auch. Jedenfalls nahm sie ihre Hand von meinem Herzen und strich mir mit zwei Fingern die Lippen entlang. »Camatl« , flüsterte sie und bewegte dabei übertrieben ihre eigenen Lippen.
    »Camatl« , wiederholte ich. »Wir sagen Mund . Und wir benutzen unseren Mund nicht nur zum Reden. Sondern auch zum Küssen«, fügte ich hinzu und spitzte hoffnungsvoll meine Lippen.
    Mein Herz klopfte so sehr, dass es wehtat. Wenn mich Diego in diesem Moment gesehen hätte, er wäre vor Lachen bestimmt zusammengebrochen. Aber dort, wo Carlita und ich uns gerade befanden, gab es weder abstoßende Zauberer noch hämisch grinsende vierzehnjährige Jungen. Dort gab es niemanden außer ihr und mir.
    »Küssen«, wiederholte sie auf Spanisch. »Tzoconia«, murmelte sie und dann wieder: »Küssen.« Ich war mir sicher, dass dieses Wort niemals vorher so köstlich geklungen hatte wie aus ihrem Mund. Aus ihrem Camatl .
    Ihre Lippen schwebten so nah vor meinem Mund, dass unser Atem sich vermischte. »Ich liebe dich, Carapitzli«, flüsterte ich. Wie heißt das auf Nahuatl – lieben?«
    Ich legte meine Arme um sie und sie presste sich an mich.
    »Yolehua« , murmelte sie und drückte ihre Lippen auf meinen Mund.
    Ich liebe dich, Carlita, dachte ich. Yolehua . Ich schloss meine Augen und vergaß wieder zu atmen. So wie ich auch alles andere vergaß, außer dem Mädchen in meinen Armen und unseren Lippen und Zungen und dem Glücksgefühl, das mich durchfloss wie goldenes Licht.
    Ein grauenvoller Laut, mehr Krächzen als Schrei, ließ uns auseinanderfahren. Unmittelbar neben uns stand einer der grauen Zauberer. Er hielt eine weiße Vogelfeder in der Hand und er hatte seine Zunge beinahe so weit herausgestreckt wie ein Erhängter. Seine Augen waren starr auf uns gerichtet, während er sich das spitze Ende der Feder von unten in seine Zunge bohrte. Dazu stieß er dieses vogelartige Krächzen aus und zuckte mit dem ganzen Körper hin und her. Das Blut lief ihm aus der Zunge, färbte die Vogelfeder rot und rann an seinen Fingern hinab, die die Feder wie einen Schlüssel im Schloss hin und her drehten.
    Ich hatte Carlita losgelassen und einen Satz nach hinten gemacht, ohne es richtig zu bemerken. Sie aber stand noch immer mitten auf dem Weg zwischen den Hütten, wo wir uns eben umarmt hatten, und sah regungslos zu, wie der Zauberer in seiner Zunge herumbohrte. Ich zwang mich, gleichfalls genauer hinzuschauen, und erkannte, dass der vordere Teil seiner Zunge vielfach durchlöchert und von Narben überwuchert war.
    Der Zauberer riss sich die Feder aus der Zunge und verschwand mit wilden Sprüngen im Wald hinter den Hütten.
    »Eztli« , sagte Carapitzli. Sie streckte ihre Zunge ein wenig heraus und deutete mit f latternden Fingern herabspritzende Tropfen an.
    Ich nickte und schauderte. »Eztli« , wiederholte ich, »Blut.«
    Carlita schaute sich suchend um. Sie stocherte mit der Spitze

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