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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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den Gleisen schaukelt. Ich empfand keine Angst, war aber in Alarmbereitschaft und fragte mich, ob ich wohl noch Zeit hätte, das Haus zu verlassen. Ein altes Haus wie das hier mußte viele kleine Beben überstanden haben, aber man wußte ja nie, was sie noch mit sich brachten. Bis jetzt stufte ich es im Bereich zwischen drei und vier ein. Solange es nur von kurzer Dauer war, dürfte es keinen größeren Schaden anrichten. Die Lichter flackerten leicht, als hätten sich Kabel gelockert und stießen nun immer wieder gegeneinander. Der Blitzeffekt löste eine Reihe verschwommener, blaßblauer Bilder aus, in deren Mitte auf der anderen Seite des Zimmers eine dunkle Gestalt erschien. Ich sah genau hin, blinzelte und versuchte, deutlich zu sehen, während sich der Schatten auf eine Ecke zubewegte und dann mit der Wand verschmolz.
    Wie gelähmt stand ich da und stieß unwillkürlich einen kleinen Schreckenslaut aus. Das Beben ließ allmählich nach, und die Lampen leuchteten wieder gleichmäßig. Ich klammerte mich an das Bücherregal und lehnte geschwächt den Kopf auf den Arm, während ich versuchte, das frostige Gefühl abzuschütteln, das mir den Rücken hinabkroch. Ich rechnete jeden Moment damit, Enid von der Küchentreppe her rufen zu hören, und ich malte mir aus, daß Myrna, hochgeschreckt durch das Erdbeben, hier auftauchen würde. Ich wollte auf gar keinen Fall, daß eine von ihnen heraufkäme und nach mir suchte. Ich schnappte mir meine Handtasche und durchquerte den Raum. Draußen im Flur sah ich mich hastig in beide Richtungen um. Ich schloß hinter mir die Tür ab und drehte den Schlüsse! so unsanft im Schloß herum, daß er sich beinahe in meiner Hand verbog.
    Auf Zehenspitzen lief ich den Flur hinab und machte dabei einen eiligen Umweg über Baders Zimmer. Ich steckte den Schlüssel wieder in die Tür, wo ich ihn gefunden hatte, und ging dann rasch in sein Arbeitszimmer. Ich öffnete einen Büroschrank und schob den Aktendeckel zwischen zwei Ordner mit ganz anderen Papieren, wo ich ihn später wiederfinden würde. Ich ging wieder zur Tür und hinaus in den Flur. Rasch eilte ich auf die schweren Vorhänge am Ende des Flurs zurück, drängte mich hindurch und hastete den rückwärtigen Korridor entlang. Geräuschvoll hüpfte ich die Stufen hinab und betrat die Küche. Myrna war nirgends zu sehen. Enid goß seelenruhig einen dicken, gelben Teig in die Springform.
    Ich legte mir eine Hand auf die Brust, um meinen Atem zu beruhigen. »Mein Gott. Das war vielleicht was. Einen Moment lang dachte ich, jetzt sind wir wirklich dran.«
    Sie blickte mit verständnisloser Miene auf. Ich sah ihr an, daß sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon ich sprach.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen. »Das Erdbeben«, sagte ich.
    »Ich habe kein Erdbeben bemerkt. Wann denn?«
    »Enid, Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen. Tun Sie mir das nicht an. Es muß mindestens Stärke vier auf der Richter-Skala gehabt haben. Haben denn hier unten die Lichter nicht geflackert?«
    »Nicht daß ich wüßte.« Ich sah ihr dabei zu, wie sie mit einem Gummispachtel die letzten Teigreste aus der Schüssel in die Form kratzte.
    »Das ganze Haus hat gewackelt. Haben Sie denn gar nichts gemerkt?«
    Sie schwieg einen Moment und senkte den Blick auf die Schüssel. »Sie klammern sich an Menschen, stimmt’s?«
    »Was?«
    »Es fällt Ihnen schwer loszulassen.«
    »Nein. Das stimmt überhaupt nicht. Ich bekomme immer wieder zu hören, daß ich unabhängiger sei, als mir guttut.«
    Sie schüttelte den Kopf, noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte. »Unabhängigkeit hat nichts mit Klammern zu tun«, sagte sie.
    »Wovon reden Sie eigentlich?«
    »Es sind nicht die Geister, die uns verfolgen. So funktioniert es nicht. Sie sind unter uns, weil wir sie nicht loslassen.«
    »Ich glaube nicht an Geister«, sagte ich matt.
    »Manche Menschen können die Farbe Rot nicht sehen. Das heißt aber nicht, daß es sie nicht gibt«, erwiderte sie.
    Als ich ins Büro zurückkam, saß Dietz auf meinem Drehstuhl und hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Er hatte eines meiner Imbißpäckchen geöffnet und kaute an einem Speck-Salat-Tomaten-Sandwich. Ich hatte immer noch nicht zu Mittag gegessen, also schnappte ich mir das andere Sandwich, nahm ein Getränk aus dem Kühlschrank und setzte mich ihm gegenüber.
    »Wie bist du beim Dispatch vorangekommen?«
    Er legte die vier Maddison-Nachrufe auf den Tisch, damit ich sie lesen konnte. »Ich habe Jeff

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