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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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konnte. Wenn er ausholte, konnte ich das leise Pfeifen des Schlägers hören, der durch die Luft sauste. Dann kam ein Plop, und der Ball flog mit unfehlbarer Genauigkeit in hohem Bogen auf das Netz zu. Hin und wieder landete ein Schlag daneben im Gras und kam mit kurzem Hüpfen auf, doch meistens traf er sein anvisiertes Ziel.
    Jack trug eine Schirmmütze, auf deren Rand in Blockbuchstaben PEBBLE BEACH stand. Sein Haar war hellbraun, und ein Büschel davon stand über dem Klettverschluß am Hinterkopf hoch. Er trug Khakihosen und ein Golfhemd, auf dem vorne das Emblem von St. Andrew’s aufgenäht war wie ein Rangabzeichen. Er war schlanker als seine beiden Brüder, und Arme und Gesicht waren gebräunt. Ich sah ihm an, wie er die Flugbahn des Balls berechnete, während dieser durch die Luft flog. Er sagte: »Hoffentlich halten Sie mich nicht für ungehobelt, aber ich habe bald ein Turnier.«
    Ich murmelte höflich etwas, da ich seine Konzentration nicht stören wollte.
    Pfeifen. Plop. »Sie sind engagiert worden, um Guy zu finden«, sagte er, als der Ball landete. Er runzelte über sich selbst die Stirn und korrigierte seine Haltung. »Wie läuft’s?«
    Ich lächelte kurz. »Bis jetzt habe ich nur sein Geburtsdatum und seine Sozialversicherungsnummer.«
    »Warum hat Donovan gesagt, daß Sie mit mir sprechen sollen?«
    »Warum soll ich nicht mit Ihnen sprechen?«
    Er ignorierte mich für einen Moment. Ich sah zu, wie er zum Netz ging, sich hinabbeugte, die unzähligen Bälle aufsammelte und sie in seinen Plastikeimer warf. Dann kam er an die Stelle zurück, an der ich stand, und fing wieder von vorne an. Sein Schlag sah immer genau gleich aus — jedesmal, ohne Änderung. Schlag, Plop, ins Netz. Dann legte er den nächsten Ball hin. Schlag, Plop, ins Netz. Bei einem Schlag schüttelte er den Kopf und antwortete verspätet auf meine Bemerkung.
    »Donovan kann nicht viel mit mir anfangen. Im Grunde seines Herzens ist er Puritaner. Bei ihm gibt’s nur Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit. Man muß produktiv sein — erledigen, was ansteht. Dieses ganze Pflicht-Geschrei. In seinen Augen ist Golf es nicht wert, ernst genommen zu werden, es sei denn, es bringt einem ein jährliches Einkommen von einer halben Million Dollar ein.« Er hielt inne, um mich anzusehen, und lehnte sich dabei leicht auf seinen Golfschläger, als wäre er ein Stock. »Ich habe keine Ahnung, wohin Guy verschwunden ist, falls Sie mich das fragen wollten. Ich war gerade in meinem letzten Jahr in Wake Forest, daher habe ich nur am Telefon davon gehört. Dad hat angerufen und mir erzählt, daß er Guy vor die Tür gesetzt hat. Sie hatten sich wegen irgendwas gestritten, und er ist abgezogen.«
    »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
    »Als ich zu Mutters Beerdigung im Januar nach Hause fuhr. Als ich in den Semesterferien im Frühling wiederkam, war Guy vielleicht seit drei Tagen weg. Ich dachte mir, daß sich das Ganze irgendwann geben würde, aber dazu kam es nie. Als ich im Juni meinen Abschluß machte und nach Hause kam, wurde über das Thema nicht mehr gesprochen. Nicht, daß es uns verboten worden wäre, ihn zu erwähnen. Wir haben es einfach von uns aus nicht getan, ich schätze, aus Rücksicht auf Dad.«
    »Und Sie haben nie von Guy gehört? Kein Anruf, keine Postkarte in all den Jahren?«
    Jack schüttelte den Kopf.
    »Hat Ihnen das nichts ausgemacht?«
    »Aber sicher. Ich habe ihn angehimmelt. Für mich war er ein Rebell, ein wahrer Individualist. Ich habe die Uni gehaßt und war unglücklich. Ich war in fast allen Fächern schlecht. Das einzige, was ich wollte, war Golf spielen, und ich konnte nicht einsehen, warum ich unbedingt einen akademischen Abschluß brauchte. Ich wäre in Null Komma nichts mit Guy gegangen, wenn er mir erzählt hätte, was los war. Was soll ich Ihnen sagen? Er hat mich nie angerufen. Er hat nie geschrieben. Er hat nie durchblicken lassen, daß ich ihm nicht scheißegal bin. C’est la vie. «
    »Und es hat auch nie jemand außerhalb der Familie berichtet, daß er ihm begegnet wäre?«
    »Zum Beispiel auf einer Versammlung oder so? Sie greifen aber wirklich nach jedem Strohhalm.«
    »Man sollte meinen, daß Sie irgend etwas gehört haben müßten.«
    »Warum denn? Ich meine, was ist schon groß passiert? Wahrscheinlich ziehen ständig irgendwelche Leute so was durch. Sie verschwinden, und kein Mensch hört jemals wieder von ihnen. Es gibt kein Gesetz, das besagt, daß man mit Leuten in Kontakt bleiben muß, nur

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