Goldgrube
meine Wohnung betreten hatte, hatte ich ein störendes »Anderssein« an ihm festgestellt. Nicht daß er aufdringlich, unverschämt oder schlampig gewesen wäre. Er war nur einfach da, und seine Anwesenheit wirkte wie ein Reizstoff auf mich. Ich meine, wohin sollte das führen? Meiner Erfahrung nach nirgendwohin. Ich hätte mich gerade an ihn gewöhnt, wenn er sich wieder auf die Socken machen würde. Also warum sollte ich mir erst die Mühe machen, mich anzupassen, wenn seine Anwesenheit ohnehin nicht von Dauer war? Ich persönlich halte Flexibilität für keinen besonders wünschenswerten Charakterzug.
Ich hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloß drehte, und stellte erschrocken fest, daß ich eingedöst war. Ich setzte mich auf und blinzelte verwirrt. Eine Etage unter mir machte Dietz die Lichter an. Ich hörte das Knistern von Papier. Ich stand auf, ging ans Treppengeländer hinüber und sah zu ihm hinab. Er stellte das Radio an. Ich stopfte mir die Finger in die Ohren, damit ich Elvis nicht dabei zuhören mußte, wie er herzzerreißend von der Liebe sang. Wer braucht diesen Scheiß schon? Dietz war ein großer Fan von Country-Musik, und ich hoffte, er würde den Sender wechseln und nach etwas Fetzigerem und weniger Anzüglichem suchen. Er spürte meine Gegenwart und drehte sein Gesicht in meine Richtung. »Gut. Du bist zu Hause. Ich habe dein Auto draußen gar nicht gesehen«, sagte er. »Ich habe ein paar Lebensmittel eingekauft. Hilfst du mir auspacken?«
»Ich komme in einer Minute.« Ich machte einen kurzen Abstecher ins Badezimmer, wo ich mir mit dem Kamm durch die Haare fuhr und die Zähne putzte. Ich hatte ganz vergessen, wie häuslich Dietz sein konnte. Wenn ich an diesen Mann dachte, fiel mir immer als erstes ein, daß er Experte für Personenschutz war. Ich tappte auf Socken die Treppe hinunter. »Woher hast du denn gewußt, was wir brauchen?«
»Ich habe nachgesehen. Große Überraschung. Die Schränke waren leer.« Er hatte die Kühlschranktür geöffnet und legte Eier, Speck, Butter, Fleisch und verschiedene andere Waren mit viel Fett und hohem Cholesteringehalt in die Fächer. Auf dem Tresen standen ein Sechserpack Bier, zwei Flaschen Chardonnay, Erdnußbutter mit extra viel Nußstückchen, mehrere Konservendosen und verschiedene Gewürze sowie ein Laib Brot. Er hatte sogar an Papierservietten, Küchenkrepp, Toilettenpapier und Spülmittel gedacht. Ich legte die Konserven in den Vorratsschrank und stellte das Radio aus. Falls es Dietz auffiel, sagte er nichts.
Über die Schulter fragte er: »Wie ist das Gespräch gelaufen?«
»Gut«, antwortete ich. »Ich habe nicht die geringsten Fortschritte gemacht, aber irgendwo muß man ja anfangen.«
»Was ist dein nächster Schritt?«
»Ich lasse Darcy über die Versicherung, für die ich früher gearbeitet habe, eine Anfrage bei der Zulassungsstelle machen. Sie hofft, daß sie morgen früh etwas für mich hat. Dann sehen wir weiter. Ich habe zwar noch andere Ansatzpunkte, aber sie ist bis jetzt meine beste Chance.«
»Du arbeitest nicht mehr für California Fidelity?«
»Offen gestanden nein. Sie haben meinen Arsch vor die Tür gesetzt, weil ich niemandem in seinen kriechen wollte. Ich habe ein Büro in einer Anwaltskanzlei gemietet. Es läuft besser so.«
Ich sah ihm an, daß er noch andere Fragen auf Lager hatte, aber er kam wohl zu dem Schluß, daß es besser war, wenn er so wenig wie möglich sagte.
Er wechselte das Thema. »Kann ich dich dazu überreden, essen zu gehen?«
»An was hast du denn gedacht?«
»An etwas, wo man zu Fuß hingehen kann und wo wir uns nicht in Schale werfen müssen.«
Ich sah ihn einen Augenblick lang an und empfand einen seltsamen Widerwillen dagegen, zuzustimmen. »Wie geht’s dem alten Freund?«
Dietz unterdrückte ein Lächeln. »Gut. Ist es das, was dich bedrückt?«
»Nein. Ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin schon seit Wochen deprimiert und habe es jetzt erst eingesehen. Außerdem bin ich nervös wegen des Auftrags. Ich arbeite für meine Cousine Tasha, was ich vermutlich lieber lassen sollte.«
»Eine Cousine? Das ist mir neu. Wo kommt die denn her?«
»Mann, du bist ja wirklich nicht auf dem laufenden.«
»Schnapp dir eine Jacke und laß uns gehen. Du kannst mir beim Essen davon erzählen und mich auf den neuesten Stand bringen.«
Wir gingen zu Fuß von meiner Wohnung zu einem Restaurant am Wellenbrecher, drei lange Häuserblöcke weit, und sprachen dabei wenig. Der Abend war sehr kalt, und die
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