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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hier oben kaum zu spüren. Die Erde in den Tälern und Canons roch trocken, und vor mir erhob sich eine Kette kahler brauner Hügel. Man hatte Regen vorhergesagt, aber das Wetter schien zu flirten und uns mit hohen Wolken und der Andeutung einer Brise zu necken.
    Die Ortschaft Marcella lag im Schatten des Los Coches Mountain. Beim Fahren war ich mir der unsichtbaren Gegenwart des großen San-Andreas-Grabens bewußt, der 750 Meilen langen Verwerfung, die sich an der kalifornischen Küste hinaufschlängelt, von der mexikanischen Grenze bis zu dem dreifachen Berührungspunkt bei Mendocino, wo die pazifische und die nordamerikanische Platte sich seit Anbeginn der Zeit gegeneinanderreiben. Unter den dünnen Schichten aus Granit und Meeresablagerungen ist die Erdkruste so brüchig wie ein Totenschädel. In dieser Gegend wird der San-Andreas-Graben vom Santa-Ynez-Graben gekreuzt, und White Wolf und Garlock liegen nicht weit entfernt. Es wird spekuliert, daß die Berge in diesem Teil des Bundesstaates früher einmal in Nord-Süd-Richtung verliefen, genau wie andere Bergketten entlang der Küste. Der Theorie zufolge wurde die Südspitze dieser Kette vor vielen Millionen Jahren von der pazifischen Platte gekappt und beim Vorüberziehen zur Seite gezerrt, womit die Berge in ihre heutige Ost-West-Ausrichtung gebracht wurden. Ich war einmal während eines kleineren Bebens mit dem Auto unterwegs gewesen, und es war ein Gefühl, als wäre der VW soeben von einem rasenden, achtzehnrädrigen Lastwagen überholt worden. Es gab einen Ruck nach rechts, als wäre das Auto plötzlich in ein Vakuum gesogen worden. In Kalifornien, wo sich das Wetter so wenig wandelt, suchen wir die Dramatik, die woanders Wirbelstürme und Orkane mit sich bringen, in Erdbeben.
    An einer Straßenkreuzung entdeckte ich einen unauffälligen Wegweiser und bog in südlicher Richtung nach Marcella ab. Die Straßen waren sechsspurig und kaum befahren. Elin und wieder hatte man eine Palme oder einen Wacholderbusch am Straßenrand gepflanzt. Hier gab es keine Gebäude, die über zwei Stockwerke hoch waren, und wenn ich mich umblickte, sah ich einen Gemischtwarenladen mit eisernen Gitterstäben an den Fenstern, ein Elotel, drei Motels, eine Immobilienfirma und ein großes viktorianisches Haus, das von einem Gerüst umgeben war. Die einzige Bar befand sich in einem Gebäude, das wirkte, als wäre es einmal ein Postamt gewesen, dem aber jetzt jede amtliche Funktion genommen war. Im Fenster hing eine Budweiser-Werbung. Wovon lebten die Einwohner Marcellas, und warum hatten sie sich hier niedergelassen? Es gab meilenweit keinen anderen Ort, und die Geschäfte hier schienen in erster Linie auf Biertrinken und anschließendes Zubettgehen eingerichtet zu sein. Wenn man Fast Food oder Ersatzteile fürs Auto wollte, wenn man ein rezeptpflichtiges Medikament, ein Kino, ein Fitneßcenter oder ein Brautkleid brauchte, mußte man nach Santa Maria fahren oder auf der 101 weiter Richtung Norden nach Atascadero und Paso Robles. Das Land um den Ort herum wirkte unfruchtbar. Ich hatte nichts gesehen, das auch nur halbwegs einer Zitrusplantage oder einem gepflügten Feld geähnelt hätte. Vielleicht war die Landschaft ja für Weideflächen, Bergbau oder Autorennen reserviert. Vielleicht lebten die Menschen hier, um der Hektik von San Luis Obispo zu entkommen.
    In einer Seitenstraße sah ich eine Tankstelle und hielt dort an, um nach dem Weg zu fragen. Der Junge, der herauskam, war vielleicht siebzehn. Er war mager, hatte blasse Augen, bis fast an die Ohren geschorene Haare und ein Gewirr schiefer Zähne. Er erinnerte mich an eine Figur aus einer der ersten Folgen von Unheimliche Geschichten. Ich sagte: »Hi. Ich suche einen Freund von mir. Er heißt Guy Malek. Ich glaube, er wohnt hier irgendwo auf der Route i , aber er hat mir nicht genau gesagt, wo.« Nun gut. Ich schwatzte dummes Zeug, aber es war nicht direkt gelogen. Ich wäre ja mit Guy befreundet, wenn er erst die Neuigkeiten über die fünf Millionen Dollar hörte.
    Der Junge sagte nichts, aber er wies die Richtung mit einem zitternden Finger wie ein Schloßgespenst.
    Ich blickte über meine Schulter. »Zurück da runter?«
    »Das ist das Haus.«
    Ich drehte mich um und starrte erstaunt. Das Grundstück war von einem Maschendrahtzaun umgeben. Hinter einem Rolltor aus Hühnerdraht konnte ich ein kleines Haus erkennen, einen Schuppen, eine große Scheune mit Seitenwänden aus Wellblech, einen alten gelben Schulbus, eine

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