Goldgrube
habe mir immer gewünscht, sie würden jemanden schicken, aber ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Wie haben Sie mich gefunden?«
»So schwer war das nicht. Ich habe bei der Kfz-Zulassungsstelle nachgeforscht und bin auf Ihren kalifornischen Personalausweis gestoßen. Dann habe ich es bei der Telefonauskunft versucht, aber Sie waren nicht eingetragen. Sie haben wohl kein Telefon?«
»Kann mir keins leisten«, antwortete er. »Möchten Sie reinkommen?« Seine Art war linkisch, und er wirkte unsicher. Er wandte den Blick von mir ab und sah mich dann erneut an.
»Gern«, sagte ich.
Er trat einen Schritt zurück, um mich hereinzulassen, und ich betrat einen Raum, der genauso aussah, wie ich es erwartet hatte. Der Innenausbau war dürftig, breite, unbehandelte Holzdielen und Fenster, die nicht richtig schlossen. Mehrere alte Möbelstücke, vermutlich beim Sperrmüll — falls es so etwas hier gab — ergattert, waren ins Zimmer gestellt worden. Wo immer auch Platz war, stapelten sich Bücher, Zeitschriften und schmutzige Wäsche, Töpfe, Pfannen, Konservendosen und Werkzeuge. Außerdem lagen eine Menge Dinge herum, die wie landwirtschaftliche Geräte aussahen, deren Funktion mir aber unklar war. In einer Zimmerecke standen ein Turm aus gebrauchten Autoreifen und ein Klosett, das an nichts angeschlossen zu sein schien. Guy fing meinen verwunderten Blick auf. »Ich bewahre das für einen Bekannten auf. Da hinten habe ich ein richtiges Badezimmer«, sagte er mit einem schüchternen Lächeln.
»Das freut mich zu hören«, sagte ich und lächelte ihn an.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Es ist Pulverkaffee, aber er ist nicht schlecht.«
»Nein, danke. Wollten Sie gerade weg?«
»Was? Ach ja, aber machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Setzen Sie sich doch.« Er zog ein Taschentuch hervor und schneuzte sich. Ich merkte, wie sich in meinem Brustkorb ein beklommenes Gefühl breitmachte. Seine Offenheit hatte etwas Rührendes. Er wies auf ein zerschlissenes, klobiges Sofa, durch dessen Polster eine Sprungfeder stach. Ich hockte mich auf die Kante und hoffte, meine zartesten Körperteile nicht zu beschädigen. Mein Unbehagen hing damit zusammen, daß Guy Malek offenbar dachte, seine Familie hätte mich aus emotionalen Gründen mit der Suche nach ihm beauftragt. Ich wußte es besser. Ich überlegte, wie ich mich verhalten sollte, und beschloß, aufrichtig zu ihm zu sein. Was auch immer das Ergebnis unseres Gesprächs war, es wäre allzu demütigend für ihn, wenn ich ihn im falschen Glauben ließe.
Er zog einen hölzernen Stuhl heran und setzte sich mir direkt gegenüber, wobei er sich hin und wieder die Augen wischte. Er entschuldigte sich nicht für die Tränen, die ihm immer noch über die Wangen liefen. »Sie wissen nicht, wie sehr ich darum gebetet habe«, sagte er mit zitternden Lippen. Er sah auf seine Hände herab und begann das Taschentuch zusammenzufalten. »Der Pastor meiner Kirche... er hat Stein und Bein geschworen, daß es passieren würde, wenn es so bestimmt sei. Beten ist zwecklos, wenn es nicht Gottes Wille ist, hat er gesagt. Und ich habe immer wieder gesagt: >Mann, eigentlich hätten sie mich doch inzwischen finden können, wenn ihnen genug daran läge, oder?<«
Mir fiel auf, daß seine Situation der meinen seltsam ähnelte, da wir beide versuchten, zerbrochene Familienbande zu verarbeiten. Zumindest hieß er seine Verwandten willkommen, obwohl er den Zweck meines Besuches mißverstand. Ich fühlte mich alles andere als wohl, weil ich ihn korrigieren mußte. »Guy, offen gestanden ist die Sache komplizierter. Ich habe schlechte Nachrichten«, begann ich.
»Mein Vater ist gestorben?«
»Vor zwei Wochen. Ich weiß das genaue Datum nicht. Soweit ich weiß, hatte er einen Schlaganfall und litt außerdem an Krebs. Er hat eine Menge durchgemacht, und ich glaube, sein Körper ließ ihn einfach im Stich.«
Er schwieg einen Augenblick und starrte ins Weite. »Tja. Eigentlich überrascht mich das nicht«, sagte er. »Hat er... wissen Sie, ob er es war, der nach mir gefragt hat?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich bin erst gestern engagiert worden. Die Testamentseröffnung wird gerade eingeleitet. Von Gesetzes wegen müssen Sie benachrichtigt werden, da Sie einer der Begünstigten sind.«
Er wandte sich mir zu und begriff es endlich. »Ach. Sie sind in offiziellem Auftrag hier, und das ist alles, stimmt’s?«
»Mehr oder weniger.«
Ich beobachtete, wie ihm langsam die Farbe in die Wangen stieg.
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