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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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alleinstehende Zapfsäule und ein Schild, das zu verblichen war, als daß ich es aus der Entfernung hätte lesen können. Das Tor stand offen. »Oh. Gut, danke. Wissen Sie, ob er zu Hause ist?«
    »Nein.«
    »Er ist nicht da?«
    »Nein. Ich weiß es nicht. Ich hab ihn heute zumindest noch nicht gesehen.«
    »Ah. Na, dann klopfe ich wohl mal bei ihm.«
    »Das könnten Sie machen«, sagte er.
    Ich fuhr aus der Tankstelle heraus und über die Straße. Ich manövrierte den VW durch das offene Tor und parkte auf einem Streifen nackter Erde, den ich für eine Einfahrt hielt. Dann stieg ich aus. Der Vorplatz bestand aus weißem Sand mit einem Saum aus braunem Gras. Das Holzhaus war früher einmal weiß gestrichen gewesen und besaß nur ein einziges Stockwerk, dem eine hölzerne Veranda vorgebaut war. Ein Spalier, das die Fenster zur Linken schützte, wies nur eine einzige kahle Ranke auf, die sich durch das Gitterwerk wand wie eine Boa Constrictor. Ein ebensolches Spalier auf der rechten Seite war unter seiner Bürde ausgetrockneter brauner Vegetation zusammengebrochen. Mehrere Kabel kamen vom Dach herunter und versorgten die Bewohner mit Telefon, Fernsehen und Elektrizität.
    Ich erklomm die hölzernen Stufen und klopfte an die verwitterte Fliegentür. Die Tür war geschlossen, und es war kein Hinweis auf Leben zu sehen. Überall lag eine feine Rußschicht, als stünde das Haus im Windschatten eines Hochofens. Der Boden der Veranda begann auf eine Art zu zittern, die darauf schließen ließ, daß jemand den Holzboden im Inneren des Hauses durchschritt. Die Tür ging auf, und ich stand dem Mann gegenüber, in dem ich Guy Malek vermutete. Abgesehen von einem Dreitagebart sah er für sein Alter äußerst jung aus. Sein Haar wirkte dunkler und glatter als in seinem High-School-Jahrbuch, aber seine Gesichtszüge waren nach wie vor jungenhaft: khakigrüne Augen, umringt von dunklen Wimpern, eine kleine, gerade Nase und ein großzügiger Mund. Sein Teint war rein, und er hatte eine gute Farbe. Die Jahre hatten feine Linien um seine Augen gegraben, und seine Kinnpartie begann ein wenig schlaff zu werden, aber ich hätte ihn trotzdem auf Mitte Dreißig geschätzt. Mit fünfzig und sechzig würde er zweifellos immer noch genauso aussehen, da die Jahre sein gutes Aussehen nur geringfügig verändern konnten. Er trug eine Jeans-Latzhose und war gerade dabei gewesen, eine Jeansjacke anzuziehen, als er an die Tür kam, und so blieb er stehen, um den Kragen hinten zurechtzurücken, bevor er »Hallo« sagte.
    Als Jugendlicher hatte Guy Malek genauso bescheuert ausgesehen wie wir alle. Er war der böse Junge gewesen, gesetzlos und selbstzerstörerisch, eine der verlorenen Seelen des Lebens. Er mußte anziehend gewirkt haben, weil er so sehr der Rettung bedurfte. Frauen können Männern nicht widerstehen, die gerettet werden müssen. Nun hatte sich sein Schutzengel offenbar auf Dauer bei ihm eingerichtet und verlieh seinem Gesicht ein heiteres Aussehen. Es war seltsam, daß seine Brüder so anders gealtert waren. Bereits jetzt mochte ich diesen Mann lieber als seine Geschwister. Von der Schmuddeligkeit abgesehen erweckte nichts den Eindruck, als würde er irgendwelche Substanzen schnupfen, schnüffeln oder spritzen.
    »Sind Sie Guy Malek?«
    Sein Lächeln kam zögernd, als könnte ich jemand sein, den er schon einmal getroffen hatte und an dessen Namen er sich gern erinnern würde. »Ja.«
    »Ich heiße Kinsey Millhone. Ich bin Privatdetektivin aus Santa Teresa.« Ich reichte ihm eine Visitenkarte. Er studierte die Karte, bot mir aber keinen Händedruck an. Seine Hände waren so verschmutzt wie bei einem Automechaniker. Ich konnte sehen, wie ein Muskel in seinem Kiefer arbeitete.
    Er richtete seinen Blick auf mich, und sein gesamter Körper erstarrte. Das Lächeln schwand. »Hat meine Familie Sie engagiert?«
    »Nun, ja«, sagte ich. Ich wollte gerade zu einem diplomatischen Bericht über den Tod seines Vaters ansetzen, als ich Tränen in seinen Augen aufsteigen sah, die das klare Grün seines Blicks trübten. Blinzelnd sah er nach oben und holte tief Luft, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder mir zuwandte. Er wischte sich hastig über die Wangen und lachte verlegen auf.
    Er sagte »Wow« und preßte sich die Finger der einen Hand gegen die Augen. Dann schüttelte er den Kopf und versuchte sich zu fassen. »Tut mir leid. Sie haben mich völlig überrascht. Ich hätte nie gedacht, daß es mir etwas ausmacht, aber das tut es wohl doch. Ich

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