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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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nicht.«
    »Es ist eben so, daß ich ohne moralischen Kompaß aufgewachsen bin. Ich habe kein Gefühl dafür gekriegt, welche Regeln galten, also habe ich es einfach darauf angelegt. Ich habe immer wieder die Grenze überschritten und darauf gewartet, daß jemand käme und mir sagte, wo Schluß ist.«
    »Aber soweit ich gehört habe, sind Sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Sie müssen die Regeln gekannt haben, denn jedesmal, wenn Sie eine gebrochen haben, sind Sie vor Gericht gelandet. Donovan sagt, Sie hätten mehr Zeit in Besserungsanstalten verbracht als zu Hause.«
    Er lächelte verlegen. »Das stimmt, aber wissen Sie, was seltsam ist? Ich fand die Anstalt gar nicht so schlimm. Da konnte ich wenigstens mit Kids zusammensein, die genauso verkorkst waren wie ich. Mann, war ich abgedreht! Ich bin einfach ausgerastet. Ich war ein Irrer, in jeder Hinsicht ausgeflippt. Es ist nicht leicht, heute darüber nachzudenken. Mir fällt es schwer, mich in mich selbst einzufühlen und in den, der ich damals war. Ich weiß, was passiert ist. Ich meine, ich weiß, was ich gemacht habe, aber ich kann mir nicht mehr vorstellen, daß ich es gemacht habe. Ich wollte mich gut fühlen. Ich habe viel über das alles nachgedacht, und das ist die einzige Erklärung, die mir bisher eingefallen ist. Ich habe mich schlecht gefühlt und wollte, daß es mir besserginge. Kam mir eben so vor, als wäre Dope der schnellste Weg dorthin. Ich habe seit über fünfzehn Jahren keine Drogen oder harten Getränke mehr angerührt. Ich trinke zwar ab und zu ein Bier, aber ich rauche nicht, spiele nicht Karten und gehe nicht tanzen. Ich führe den Namen des Herrn nicht unnütz im Munde und fluche nicht... besonders oft. Wenn ich mir den Zeh anstoße, kann ich fürchterlich toben, aber ich vermeide Schimpfwörter.«
    »Tja, das ist gut.«
    »Für mich schon. Damals wankte ich ständig am Abgrund entlang. Ich glaube, ich habe darauf gehofft, daß meine Eltern endlich einen Schlußstrich ziehen und dabei bleiben würden. Daß sie sagen würden: >He, jetzt reicht’s. Diesmal hast du’s wirklich zu weit getrieben.< Aber wissen Sie was? Mein Dad war zu nachgiebig. Er hat immer nur gelabert. Sogar wenn er mir einen Riesenarschtritt versetzt hat, sogar als er mich vor die Tür gesetzt hat, hat er noch gesagt: >Denk drüber nach, mein Sohn. Du kannst wiederkommen, wenn du es begriffen hast.< Aber wie denn? Wenn ich was begriffen habe? Ich hatte keine Ahnung. Ich war völlig orientierungslos. Ich war wie ein Boot, das mit Volldampf fährt, aber ohne sinnvolle Richtung, das nur lärmend große Kreise zieht. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Sicher. Auf der High School war ich selbst eine Chaotin. Schließlich bin ich Polizistin geworden, bevor ich das hier angefangen habe.«
    Er lächelte. »Ohne Witz? Sie haben getrunken und Dope geraucht?«
    »Unter anderem«, sagte ich bescheiden.
    »Kommen Sie. Was zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht. Die anderen in meiner Klasse waren alle anständig, aber ich nicht. Ich war wild. Ich hab die Schule geschwänzt. Ich habe mich mit abgestürzten Typen herumgetrieben, und es hat mir gefallen. Die haben mir gefallen«, sagte ich. »Ich war eine Außenseiterin, genau wie Sie, schätze ich.«
    »Auf welche High School sind Sie denn gegangen?«
    »Santa Teresa High.«
    Er lachte. »Sie waren eine Mauerratte?«
    »Allerdings«, sagte ich. Mauerratten waren die Kids, die immer auf einer niedrigen Mauer hockten, die hinten um das Schulgelände verlief. Es wurde viel geraucht, alle trugen ausgefallene Klamotten und hatten wasserstoffblonde Haare.
    Guy lachte. »He, das ist ja toll!«
    »Ich weiß nicht, wie toll es war, aber ich hab’s eben gemacht.«
    »Wie haben Sie zu sich gefunden?«
    »Wer sagt, daß ich es geschafft habe?«
    Er erhob sich, als hätte er eine Entscheidung getroffen. »Kommen Sie mit rüber ins Pfarrhaus, dann können Sie Peter und Winnie kennenlernen«, sagte er. »Zu dieser Zeit sind sie immer in der Küche und kochen das Essen für die Bibelstunde am Donnerstag abend.«
    Ich folgte ihm den Mittelgang entlang und durch eine Tür an der Hinterseite. Ich merkte, wie sich in mir leiser Widerstand zu regen begann. Ich wollte nicht, daß jemand mich zu bekehren versuchte. In meinen Augen ist zuviel Tugend ein ebensolches Laster wie Verdorbenheit.

6

    Das weitläufige Pfarrhaus aus weißgestrichenem Holz lag auf dem Grundstück direkt neben der Kirche. Es umfaßte zwei Stockwerke, hatte grüne Fensterläden und ein

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