Goldgrube
Beziehung?«
»Könnte sein. Schwer zu sagen.«
Er lächelte nur kurz. »Wir sehen uns morgen früh.«
Allerdings, dachte ich.
14
Als Jonah gegangen war, merkte ich, daß es mich nicht in die Bibliothek zurückzog. Ich hörte, wie sich Christie und Tasha freundschaftlich und in heiterem Tonfall unterhielten und dabei immer wieder nervös auflachten. Offenbar hatten sie das Thema gewechselt. Der Mensch ist schlecht dafür gerüstet, sich lange mit dem Tod zu beschäftigen. Selbst bei einer Totenwache oder einer Beerdigung haben die Gespräche die Tendenz, so schnell wie möglich auf ungefährlichere Gebiete abzuschweifen. Ich sah mich in der leeren Halle um und versuchte mich zu orientieren. Gegenüber der Bibliothek befand sich das Wohnzimmer. Dort war ich bereits gewesen, aber den Rest des Erdgeschosses hatte ich nie gesehen.
Ich ging unter der Treppe hindurch zu einem quer verlaufenden Flur, der in beide Richtungen führte. Auf der anderen Seite der Halle blickte ich in ein Badezimmer. Zur Rechten waren zwei Türen zu sehen, die aber beide geschlossen waren. Angesichts der Umstände hielt ich es für unklug, aufs Geratewohl herumzuschnüffeln. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß ich auf jemanden von der Polizei stieß, würde ich so tun, als streifte ich hier auf der Suche nach der Küche herum, wo ich meine Hilfe anbieten wollte.
Zuvor hatte das Haus trotz der Ansätze von Schäbigkeit, die überall sichtbar waren, eine gemütliche Ausstrahlung gehabt. Nun wurde mir mit aller Schärfe bewußt, wie sehr der Mord an Guy die Atmosphäre verändert hatte. Selbst die Luft wirkte schwer, und die Düsternis war so melancholisch wie dichter Nebel, der durch die Räume wallte.
Ich bog nach links ab und folgte dem wenig verheißungsvollen Geruch von gekochtem Kohl am Ende des Flurs. In einer plötzlichen Zukunftsvision sah ich den Tag vor mir, an dem dieses Haus an ein Jungeninternat verkauft und der Duft von Gemüsesorten aller Art die Gänge erfüllen würde. Junge Burschen in schweren Schuhen würden zwischen ihren Unterrichtsstunden durch die Flure trampeln. Das Zimmer, in dem Guy erschlagen worden war, würde in einen Schlafsaal verwandelt werden, in dem heranwachsende Jungen ihre Kräfte erprobten, sobald das Licht ausgegangen war. Es gäbe Gerüchte über die bleiche Erscheinung, die den Flur hinabschwebte und am Absatz vor der Biegung der Treppe kurz in der Luft verweilte. Ich ertappte mich dabei, wie ich meinen Schritt beschleunigte, da es mich zu menschlicher Gesellschaft drängte.
Hinter dem Eßzimmer und der Geschirrkammer führte eine Schwingtür in die eigentliche Küche. Der Raum erschien mir riesig, aber schließlich würde mein gesamtes kulinarisches Reich auch hinten in einen Kombi der mittleren Preisklasse passen. Die Fußböden bestanden aus hellglänzenden Dielenbrettern aus Eichenholz, die unregelmäßig verlegt waren. Die Einbauschränke waren aus dunklem Kirschbaum, und die Arbeitsflächen bedeckte grüner Marmor. Es standen genug Kochbücher, Utensilien und Geräte herum, um die Regale eines Küchenfachgeschäfts zu bestücken. Die Herdoberfläche sah größer aus als mein Doppelbett, und der Kühlschrank hatte durchsichtige Türen, hinter denen alles, was er enthielt, sichtbar war. Zur Rechten befand sich eine Sitzecke und dahinter eine verglaste Veranda, die sich über die gesamte Breite des Raums erstreckte. Hier überdeckte der intensive Duft von gebratenem Hühnchen und Knoblauch den schalen Kohlgeruch. Warum riecht das, was andere Leute kochen, immer soviel besser als das, was man selbst zubereitet?
Myrna war vom Polizeirevier zurück. Sie und Enid standen zusammen neben einer der beiden Küchenspülen. Myrnas Gesicht wirkte geschwollen, und die roten Flecken um ihre Augen ließen darauf schließen, daß sie geweint hatte; zwar nicht in den letzten paar Minuten, aber vielleicht am Vormittag. Enid trug einen Regenmantel aus Popeline, und die vielen Meter braunen Stoffs verliehen ihr die unselige Gestalt einer Ofenkartoffel. Das Tuch hatte sie abgenommen. Ohne Kopfbedeckung kam ein borstiges Vogelnest von Haar zutage, bestehend aus dunklen, von Grau durchzogenen Strähnen. Die zwei Frauen hielten Teebecher in der Hand und hatten sich vermutlich gerade über den Mord unterhalten, da sie beide schuldbewußt aufsahen, als ich hereinkam. Angesichts ihrer Nähe zu den Ereignissen mußten sie praktisch alles mitbekommen haben. Die Familie genierte sich jedenfalls nicht, ihre Konflikte in
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