Goldgrube
aller Öffentlichkeit auszutragen. Herrgott, sie hatten sich ja sogar vor mir in die Haare gekriegt. Enid und Myrna mußten vieles mitgehört haben und hatten vermutlich ihre Beobachtungen miteinander verglichen.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Enid. Sie sprach im gleichen Ton, den Museumswärter anschlagen, wenn sie denken, man sei kurz davor, etwas auf der anderen Seite des Seils zu berühren.
»Das wollte ich gerade Sie fragen«, sagte ich. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Ganz die Wohltäterin, die nach einem Verdienstabzeichen der Pfadfinder strebt.
»Danke, aber es läuft alles bestens«, sagte sie. Sie leerte ihren Becher in die Spüle, öffnete die Spülmaschine und stellte ihn in den oberen Korb. »Ich gehe lieber, solange ich noch kann«, murmelte sie.
Myrna sagte: »Ich kann dich hinausbringen, wenn du möchtest.«
»Nicht nötig«, erwiderte Enid. »Ich kann mir hinten Licht anmachen.« Mit einem Blick auf mich fragte sie: »Soll ich Ihnen eine Tasse Tee aufgießen? Das Wasser ist noch heiß. Ich bin zwar gerade am Gehen, aber es dauert ja nicht lang.«
»Ja, gerne«, sagte ich. Ich mag Tee eigentlich nicht besonders, aber ich wollte unseren Kontakt in die Länge ziehen.
»Das kann ich auch machen«, sagte Myrna. »Geh du ruhig.«
»Bist du sicher?«
»Absolut. Bis morgen.«
Enid streckte die Hand aus und tätschelte Myrna den Arm. »Na gut. Tschüs dann. Du mußt unbedingt wegen deiner Schleimbeutelentzündung mit meinem Chiropraktiker reden. Und ruf an, wenn du mich brauchst. Ich bin den ganzen Abend zu Hause.« Enid nahm eine große Segeltuchtasche und verschwand in Richtung Hintertür.
Ich sah Myrna dabei zu, wie sie den Wasserkocher einschaltete. Sie machte eine Schranktür auf und holte einen Becher heraus. Sie zuckte zusammen, griff in eine Blechdose und entnahm ihr einen Teebeutel, den sie in den Becher hängte. Unterdessen konnte ich hören, wie draußen eine Autotür zugeschlagen wurde und wenige Momente später Enid ihren Wagen startete.
Ich ging zur Arbeitsfläche hinüber und setzte mich auf einen hölzernen Hocker. »Wie geht es Ihnen, Myrna? Sie sehen müde aus«, sagte ich.
»Das liegt an der Schleimbeutelentzündung, die wieder schlimmer wird. Die plagt mich schon seit Tagen«, erwiderte sie.
»Der Streß trägt wahrscheinlich sein Teil dazu bei.«
Myrna schürzte die Lippen. »Das sagt mein Arzt auch. Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen. Ich bin an den Tod gewöhnt. In meinem Beruf begegne ich ihm häufig, aber das hier...« Sie hielt inne, um den Kopf zu schütteln.
»Es muß höllisch gewesen sein heute. Ich konnte es kaum glauben, als Tasha es mir erzählt hat«, sagte ich. »Sie arbeiten schon wie lange für die Maleks — acht Monate?«
»Ungefähr. Seit letzten April. Die Familie hat mich gebeten, nach Mr. Maleks Tod dazubleiben. Jemand mußte ja die Verantwortung für den Haushalt übernehmen. Enid hatte es satt, und mir machte es nichts aus. Ich habe schon viele Haushalte geführt, manche davon noch größer als dieser hier.«
»Könnten Sie als Privatschwester nicht viel mehr verdienen?«
Sie holte eine Zuckerdose herunter und füllte ein Milchkännchen mit Halb-und-Halb, das sie aus dem Kühlschrank nahm. »Ja, schon, aber ich mußte mich mal von all den unheilbaren Krankheiten erholen. Ich schließe meine Patienten ins Herz, und wo bleibe ich dann, wenn sie sterben? Ich habe wie eine Zigeunerin gelebt, bin von einer Stelle zur nächsten gezogen. Hier habe ich eine eigene kleine Wohnung, und die Aufgaben sind in erster Linie Aufsichtsfunktionen. Gelegentlich koche ich ein bißchen, wenn Enid ihren freien Abend hat, aber das ist schon fast alles. Natürlich beschweren sie sich immer wieder. Es ist manchmal schwer, es ihnen recht zu machen, aber ich lasse mich davon nicht stören. Irgendwie bin ich es gewohnt. Kranke sind auch oft schwierig, und es muß gar nichts heißen. Ich lasse es einfach an mir abprallen.«
»Ich nehme an, Sie waren gestern abend hier.«
Der Wasserkocher stimmte ein heiseres Flüstern an, das sich rasch zu einem Kreischen auswuchs. Sie zog den Stecker heraus, und das schrille Geräusch legte sich wie erleichtert. Ich wartete, während sie den Becher füllte und mir herüberbrachte. »Danke.«
Ich merkte, wie sie zögerte und offenbar mit sich selbst rang, ob sie sagen sollte, was ihr auf der Zunge lag. »Haben Sie etwas auf dem Herzen?« fragte ich.
»Ich weiß nicht, wieviel ich sagen darf«, meinte sie vorsichtig. »Der
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