Goldhand (Ein Artesian Roman) (German Edition)
folgte Tira und Garlit den letzten steilen Anstieg hinauf zur ersten Mauer. Das Tor war offen und Hockster ritt hindurch. Weit voraus und etwas höher erhob sich die zweite Mauer, an deren Enden ebenfalls zwei schlanke Türme in den Nachthimmel aufragten. So ging es in stetem Anstieg weiter hinauf bis er schließlich die fünfte und letzte Terrasse erreichte.
Niemand stellte sich ihnen in den Weg, niemand versuchte, sie aufzuhalten, als sie in Trenadil einritten.
Hockster und seine Gefährten bezogen die großen Zimmer in der ersten Etage des Herrenhauses, das dem Burgtor gegenüber lag. Sie richteten sich in ihrem neuen Heim ein und erkundeten in den folgenden Tagen die gesamte Festung. Hockster hatte das alles schon einmal gesehen. Trenadil glich der Traumfeste, als wären beide zwei Stiefel desselben Paares mit dem Unterschied, dass dieses Trenadil tatsächlich existierte. Trotzdem begleitete er Tira und Garlit auf ihren vielen Erkundungsgängen. Er war sich nicht sicher, ob er damit dem Wunsch der drei Weisen entsprach, aber eine andere Art, die Festung in Besitz zu nehmen, kannte er nicht.
Hinter den prächtigen Gebäuden, die den Burghof nach Osten hin abgrenzten, erhob sich eine Vielzahl kleinerer Gebäude und Türme, zwischen denen verwinkelte kurze Gässchen und weitere kleine Höfe lagen. Hockster hatte den Eindruck, dass einige der ehemaligen Burgherren mit Hilfe von mehr oder minder begabten Architekten ihre Phantasie uneingeschränkt ausgelebt hatten, bis der Platz zwischen der Festungsmauer und der steil aufragenden Felswand der Schwarzberge mit Gebäuden jeder Art bebaut war. Das geschützte Areal innerhalb der Mauern war riesig und bot reichlich Platz für all jene, die in den kommenden Wochen vor den Chetekken Zuflucht suchen würden.
Bei einem seiner Erkundungsgänge stieß Hockster tief unter den Hauptgebäuden auf die Waffenkammer, die er schon einmal in der Traumlandfeste betreten hatte und fand, sehr zu seiner Überraschung, Rüstung, Schwert und Umhang – eben jene Gegenstände und Kleidungsstücke, die er bei seinem letzten Besuch dort zurückgelassen hatte. Der Abschied von den drei Weisen fiel ihm wieder ein und ihre Mahnung, dass er diese Dinge mit Ehrfurcht tragen sollte. So gewannen ihre Aussagen dann doch noch einmal einen Sinn und auch der letzte Satz fiel ihm wieder ein: Wenn keine Hoffnung mehr ist, wird dir ein Leben geschenkt. Damit wusste Hockster gar nichts anzufangen und alles, was er hier in Trenadil vorgefunden hatte, wollte sich mit dieser Aussage nicht in Einklang bringen lassen. Er gab es vorerst auf, die Lösung dieses Rätsel würde ihn hoffentlich zu gegebener Zeit anspringen wie ein Hund sein Herrchen nach tagelanger Abwesenheit. Ein letztes Mal bewunderte er die feinen Waffen und den Umhang, verließ dann die Kammer, warf die Tür ins Schloss, drehte den Schlüssel zweimal um, zog ihn ab und warf ihn tags darauf in den Brunnen hinter dem Ziegenstall. Mit einem satten Geräusch durchbrach er die Wasseroberfläche und sank dann völlig lautlos in ewiges Vergessen. „Roste wohl“, murmelte Hockster ihm leise hinterher und fühlte sich anschließend ganz ausgezeichnet.
Er war kein Soldat! Er brauchte keine Rüstung und noch viel weniger ein Schwert. Früher wäre er glücklich gewesen, derart wertvolle Geschenke zu erhalten und hätte sie wohl auch mit Stolz getragen. Doch das lag hinter ihm. Er wusste jetzt, dass er sein Leben lang danach gestrebt hatte, seine geringe Größe mit einer heldenhaften Tat aufzuwiegen, einer Tat, wie sie ein Auserwählter zu erbringen hat, um das Ansehen zu erlangen, das scheinbar nur großen Menschen zuteil wird. Doch seine Gefühle für Madigan, seine Sehnsucht und nicht zuletzt die Freundschaft von Serima, Millen und Eman Delles hatten ihm die Augen geöffnet. „Ich brauche das nicht!“, murmelte er leise. „Nein! Nicht mehr!“ Im Grunde war er zu klein, um diese Bürde zu tragen.
Die Zeiten, da andere ihn wie ein Püppchen mal hierhin und mal dorthin führen konnten, waren vorbei. Nur noch diese eine Aufgabe wollte er erfüllen und dann, sollte er das Glück haben diesen Krieg an der Spitzte der Verteidigung Heetlands zu überleben, nach Diwenstein zurückkehren und als Lehrer arbeiten, oder als Heiler. Es ärgerte ihn, dass Tira die Wahrheit über ihn so schnell herausgefunden hatte.
Garlit erbot sich jetzt immer öfter, Hockster zu begleiten. Anfangs fand Hockster Gefallen an der Gesellschaft des flinken Diebes, doch je
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