Goldhand (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Hockster war ihm dankbar dafür. Als er am Morgen des dritten Tages auf Killas Rücken stieg, hatte er es plötzlich wieder eilig. Er ließ die Stute laufen und immer, wenn sie langsamer wurde, trieb er sie mit aufmunternden Worten an.
Am frühen Nachmittag beobachtete er einen Steinadler, der in seinen Klauen ein Kaninchen zu seinem Horst in den Bergen trug. Dieses Bild von Kraft und Wehrlosigkeit zugleich verstärkte seine Schwermut nur noch mehr. Er ritt schweigend, den Kopf gesenkt und erinnerte sich an lang vergangene Zeiten. Eine tiefe Melancholie hatte ihn erfasst und er glaubte fest daran, dass dies seine letzte Reise werden würde.
Als Naggit wenig später auf seiner Schulter landete und meldete, dass der Weg vor ihnen frei war, musste Hockster für einen kurzen Moment erneut um seine Fassung ringen, bevor er Naggit mit klarer Stimme danken konnte.
„Es geht Euch besser, ja?“, fragte der Drache.
„Ja! Besser!“
„Besonders gesprächig seid Ihr aber trotzdem nicht.“
Hockster zuckte sachte mit den Schultern, um Naggit nicht seinen ohnehin wackeligen Halt zu nehmen. „Warum fliegst du nicht noch einmal Richtung Idenhal. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass König Serkal uns folgen wird.“
„Ich bin sicher wir würden es hören, wenn uns eine Armee auf den Fersen wäre.“
„Naggit, bitte.“
„Schon gut, schon gut. Ich fliege ja schon.“
Naggit wollte sich gerade in die Luft erheben, als plötzlich ein Schatten fauchend über sie hinweg dröhnte. Naggit krallte seine Klauen in Hocksters Mantel und bewahrte unsicheren Halt. Dann hoben beide ihren Blick und sahen den Laserbird gerade noch in der Ferne verschwinden. Madigan war zurück, aber viel zu früh.
„Ich fliege ihr entgegen“, sagte Naggit, sprang von Hocksters Schulter, entfaltete dabei seine Flügel und stieg empor. Bald darauf war er nicht mehr zu sehen.
Der Anblick des Laserbirds hatte Hockster einen Stich versetzt. Eine Woche, hatte Madigan gesagt, würde sie brauchen, bevor sie zurückkehren konnte. Nun waren gerade einmal drei Tage vergangen. Was war dort oben geschehen? Hockster ahnte, dass es nichts Gutes war und wappnete sich gegen schlechte Nachrichten.
Madigans Rückkehr hatte vorübergehend seine tristen Gedanken vertrieben, und obwohl es sein Herz erleichterte, sie wohlauf zu wissen, kehrten die quälenden Sorgen langsam zurück.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fand er den Mut, vor sich Rechenschaft über die von ihm verursachten Geschehnisse abzulegen. Die drei Weisen hatten ihn beauftragt, eine Stadt zu gründen und anschließend die Festung Trenadil in Besitz zu nehmen. Er hatte ihren Bitten entsprochen, die gesetzten Ziele erreicht und war ohne Gegenwehr dem Weg gefolgt, den sie ihm vorgegeben hatten. Er hatte das Land verändert und diese Veränderung hatte ihn verändert. Als er Diwenstein verließ, ging er als stolzer Mann, der der Zukunft gelassen entgegensah. Die Gelassenheit war verschwunden, ebenso wie der Stolz auf seine Taten. Beides war von den Sorgen und Zweifeln aufgesogen worden, die begonnen hatten, als er zum ersten Mal Trenadil betreten hatte.
Hockster machte sich nichts mehr vor. Ob mit oder ohne Serkals Armee, Heetland war schon jetzt Geschichte, ebenso wie er selbst. Aber auch wenn er seinem Tod entgegenritt, war er dankbar, denn er hatte Dinge gesehen und erlebt, die sein Leben reicher gemacht hatten. Er hatte tatsächlich eine Stadt gegründet, und er hatte einen Chetekkenmagier besiegt, nein, zwei, wenn er auch bei der zweiten Auseinandersetzung auf die Hilfe von Madigan und Naggit hatte zählen können. Er war als erster Mensch seiner Welt zwischen den Sternen geflogen, hatte einem König die Stirn geboten und war gemeinsam mit Madigan und Naggit den Miltek-Truppen entkommen. Nicht schlecht für einen einfachen Mann aus den Tarrasbergen. Und er hatte eine Frau gefunden, die nicht nur mit den Augen sah, sondern eine, die ihrem Herzen folgte wie er. Sie war der größte Schatz von allen. Ein Leben ohne Madigan war unvorstellbar, wäre ein ewiger, nie endender Kummer.
Hockster schüttelte sich, als ihm klar wurde, wie viel Glück er in seinem Leben gehabt hatte. Menschen waren ihm begegnet, so einzigartig und besonders, dass sie sein Leben mit Licht und Wärme bereichert hatten. Er dachte an seinen Urgroßvater Arterius, an Rikat, den Räuber, an Millen Hoog, an Serima, die Heilerin, an Naggit, den Drachen, der glaubte im Herzen ein Bruder zu sein, an Rok Talusien, gefallener
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