Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
hinterlassen hatte, um die Nase wehen.
Die frechen Elstern machten wie immer einen riesigen Rabatz in der Baumkrone vor meinem Fenster, so als würden sie jeden Abend aufs neue um die besten Schlafplätze kämpfen. Als endlich Ruhe herrschte, kam ich in den unerwarteten Genuss eines nächtlichen Minnesanges in Form des Liedes „Dust in the Wind“ aus einer der Nachbarwohnungen (Insgeheim fragte ich mich, ob es vielleicht sogar Herr Luchterhand war, der da seinen heimlichen Traum eines Popstar-Lebens träumte.), welcher sämtliche streunende Katzen aus der Umgebung anlockte und diese zu einem Chorkonzert animierte. Doch auch dieses verstummte irgendwann einmal und zurück blieben ich, die Nacht und die Sterne.
Ein Gesicht schwebt über mir, erst fern, dann immer näher, ein böses, grausames Gesicht. Ich will es nicht anschauen und drehe mich fort. Aber immer wieder scheint es sich in mein Bewusstsein zu drängen, vor meinem inneren Auge zu erstehen. Ein Mann mit kalten Augen unter dunklen, buschigen Augenbrauen. Oder ist es eine Frau? Lange Haare wallen herab und durch sie hindurch sehe ich goldene Perlenohrringe blitzen. Sie hebt ein weißes Laken, als wolle sie mich damit zudecken. Das Laken verfärbt sich. Erst ist es nur ein Zipfel, aber dann strömt das Dunkel wie Tinte auf einem hellen Löschblatt in alle Richtungen hinaus. Das Laken ist schwarz, schwarz wie die Nacht, die sich sogleich über mich legt.
Erschreckt wachte ich auf und schaute auf die roten Ziffern des Radioweckers. Es war später Vormittag. Da hatte ich den halben Tag verschlafen, wie ärgerlich. Um so schneller war ich auf den Beinen, um den Rest meiner Arbeit zu vollenden. Es war ein herrlicher Tag mit strahlend blauem Himmel und still verfluchte ich mein Schicksal, das mir zu solch einer Entscheidung verholfen hatte. Wieder musste der polnische Volkskunstlöffel herhalten, als ich mit ihm die kreideweiße Latexfarbe sorgfältig aufrührte. Ich trug Farbeimer, Roller und Abdeckfolie in das Zimmer. Der Fleck auf dem Teppich war schwarz geworden. Verwirrt starrte ich ihn an. Vorgestern war er noch grau und gestern nur leicht dunkler. Wie merkwürdig. So richtig wollte mir das nicht einleuchten. Ich nahm einen Schluck Multivitamin-Nährstoffkonzentrat, zuckte die Schultern, deckte alles im Zimmer mit der Folie sorgfältig ab und begann zuerst, die Tapetenränder mit einem Teppichmesser zu säubern. Danach kletterte ich auf die splittrige Holzleiter und legte mit Schwung los, die Decke zu malern. Der Schwung ließ sehr bald nach, spätestens dann als mir der Schweiß auf der Stirn stand und das Achselshirt an jedem Wirbel meines Rückens klebte. Doch unverdrossen strich ich weiter mit der Farbrolle über die vergilbte Tapete, welche sich langsam unter den Bahnen von Weiß lichtete, erstrahlte, so wie in Sankt Petersburg das weiße Silber der Sonne die Nacht erstrahlen ließ.
***
Viele solcher Nächte hatte die Mannschaft des „Sturmvogels“ nun schon erlebt und insbesondere Ferdinand, der Kapitän, hatte all diese weißen Nächte durchwacht, damit ihm nicht entginge, wenn tatsächlich das ersehnte Schiff den Hafen verließ. Heute lag das Meer ruhig da und grauer Nebel verwischte die Linie des Horizontes zu bizarren Formen.
Die Männer hatten recht. Sie konnten hier nicht ewig liegen und das Proviant, welches nicht für eine Weltumsegelung bemessen war, wurde bereits knapp. Enttäuschung nagte am Herz des Seebeuters, so wie die Ratte Fridolin, das Maskottchen des Schiffes, welche dieses zweifelhafte Privileg in Ermangelung eines zahmen Sturmvogels erlangte, in der Kombüse an einem Zwiebackkanten nagte.
Müde hatte er gerade mit dem Kopf am taufeuchten Mast lehnend für einen Moment die Augen geschlossen, als er den Schiffskoch Heiner, einen vierschrötigen, riesenhaften und überall tätowierten Kerl, der mit dem Tranchiermesser nicht nur geschickt darin war, Wild und Fisch zu zerlegen, sondern es auch in diversen Kämpfen schon zum allgemeinen Nutzen und zum Schrecken der Feinde erfolgreich eingesetzt hatte, aufgeregt rufen hörte. Er öffnete die Augen und sah diesen, in einer Hand einen Kohlkopf und in der anderen sein berühmtes Tranchiermesser, an der Reling stehen und auf einen diesigen Schatten deuten, der sich langsam von der dunklen, vor ihnen liegenden Landzunge löste.
Sofort war Ferdinand hellwach und führte seinen Kieker an das linke Auge, auf welchem er besser sah, seit ihn die grelle Sonne des Äquators
Weitere Kostenlose Bücher