Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
hatte, erneut zum Besuch angemeldet, denn es gab viel zu erzählen. Ein dampfender Samowar stand auf dem Tisch und neben den golden geblümten Teetassen schmiegten sich zwei Schnapsgläser zutraulich aneinander, misstrauisch beobachtet von grünäugigen duftenden Piroggen. Sie waren alleine. Der Geselle des Goldschmiedemeisters schlummerte viele Straßen entfernt in der zugigen Dachkammer seiner Eltern und der Eingang auf der Ladenseite wurde durch ein schmiedeeisernes Gitter geschützt, durch das allerhöchstens eine Maus hindurchgepasst hätte. Ihrer beider Gesichter waren gerötet von heißem Tee und dem guten Wodka, und sie lachten viel.
„Sag Wil, hast du das Piratenleben jetzt aufgegeben oder was führt dich hierher? Und dann noch in Frauenkleidern?“, fragte Petrowitsch blinzelnd.
„Das wird sich entscheiden, wenn ich jemanden etwas gefragt habe. Aber jetzt berichte du mir doch erst einmal, wie du es bis zu einem Goldschmiedemeister gebracht hast. Ich bin außerordentlich neugierig.“ Ihre Augen blitzten spitzbübig, umschattet von tanzenden Feuergeistern.
Petrowitsch begann seine Erzählung: „Am 13.08.1704 betrat ich dieses Land von der Baltikküste aus mit nur dem bei mir, was ich am Leibe trug. Dazu gehörte auch ein altes Leinentuch, das verdammt schwer war. Und natürlich nicht durch den Zwieback, den ich darin transportierte. Ich habe auf der 'Wassilissa' das Zarengold gesehen und so viel an Goldrubeln mitgenommen, wie es nur mit einem kleinen Leinentuch und zwei Hosentaschen möglich war. Das hättest du ebenfalls getan. Während du mich vor dem wilden Ferdinand rettetest und später die ganze Mannschaft das Schiff plünderte, gelang es mir, eines der Rettungsboote zu Wasser zu lassen und unauffällig die Küste anzusteuern. Mit den Füßen auf trockenem Boden besorgte ich mir zuerst ein Zimmer und anständige Kleidung. Danach wusste ich genau, was zu tun war. Es ist merkwürdig, weißt du, mich ließ dieser Anblick der funkelnden Juwelen nicht mehr los, die ich unter Deck gesehen hatte. Sie tanzten immerzu in meinem Kopf herum und klingelten und glitzerten und plötzlich wusste ich – das will ich auch machen, und noch viel schöneres!
Also machte ich mich auf die Suche nach einem Goldschmied, der mich ausbilden würde. Ich war viel zu jung, aber ich erzählte ihnen, dass ich Waise bin und für mich selbst sorgen müsse. Das half. Ich traf einen gütigen alten Herrn, den seligen Gregor Salmonowitsch, der mich fast wie einen Sohn bei sich aufnahm und mir alles zeigte, was ich über Juwelen und deren Herstellung wissen musste. Er vertraute mir uneingeschränkt, obwohl ich fremd war, mich niemand kannte und ich keine Empfehlungen hatte. Ich hätte mich mit seinen Kostbarkeiten über alle Berge machen können, aber er spürte wohl, dass es mir ernst war und ich nicht an Reichtum, sondern an Schönheit interessiert war. Er brachte mir bei, wie ich Chrysopras von Beryll unterscheide, wie sich Gold, Silber und Kupfer zu den kunstvollsten Gebilden formen lassen, dass Steine, ob edel oder nicht, eine eigene Persönlichkeit haben und leben, wie ich diese Persönlichkeit zum Leuchten und Strahlen bringen kann, und wie ich für all diese belebten Herrlichkeiten sorgen muss, damit sie nicht verlieren, was ich ihnen gegeben. Doch das ist nicht alles. Er brachte mir noch viel, viel mehr bei, ein Wissen, das ich kaum mit Worten beschreiben kann. Wenn ich ihm dafür danken wollte, winkte er nur ab und meinte: ‚Du weißt schon alles, mein Junge. Hier drinnen...’ – dabei klopfte er mir sanft mit beringten Händen auf den Brustkorb – ‚hier drinnen weißt du es, da wohnt es in dir. Sonst hättest du nicht zu mir gefunden.’ Bis heute ist mir nicht so recht klar, was er damit meinte und ob er sich nicht geirrt hat. Aber dann, dann ist da so ein kleines Gefühl in mir, so eine schüchterne Gewissheit, dass es genau so sein muss.“
Ein feuchtes Rinnsal glitt über seine Wange und tropfte in den Tee. In seinen Augen glänzte der rußige Schein der Kerze.
„Weißt du, er hatte zu dieser Zeit selbst keine Kinder mehr. Alle fünf, drei Jungen und zwei Mädchen, waren an Typhus gestorben und seine Frau bereits lange vorher bei der Geburt des Kleinsten gegangen. Es war, als hätte uns jemand zueinander geführt. Er pflegte immer zu sagen, jetzt könne er endlich ruhig sterben, jetzt wisse er, dass seine Arbeit nicht umsonst gewesen sei und seine Werkstatt in guten Händen sein
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