Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
steigerte. Ab und zu vernahm man den Ruf eines Kuckucks wie aus weiter Ferne. Es war ein seltsames Gefühl, so allein im Wald spazieren zu gehen. Einerseits schön - diese dichte Stille, die eigentlich keine Stille ist, da man, wenn man genau lauscht, überall ein leises Wispern, Knacken und Rauschen hören kann, genoss ich immer wieder gerne, aber irgendwie fühlte ich mich auch wie ein Eindringling in eine Welt, die zwar nicht fremd ist, sich aber mehr und mehr dem Menschen entzieht, je stärker er sie zu beherrschen sucht.
Mit dieser Überlegung erreichte ich eine Wegkreuzung. Der Weg geradeaus führte zum Ufer der Insel, welches ich bereits kannte, deshalb beschloss ich, den Weg zu nehmen, der nach rechts führte. Mindestens zehn Minuten war ich diesem gefolgt, als ich merkte, dass der Wald zunehmend dunkler und dichter wurde. Umgekippte alte Bäume lagen kreuz und quer, bevorzugt direkt über dem Weg, und reckten ihre toten Wurzeln in die Höhe, welche groteske Formen bildeten. Ich hatte einiges zu klettern und fragte mich häufiger, ob es nicht besser wäre, umzukehren, wusste aber gleichzeitig, dass ich das nicht tun würde, zumindest so lange kein unüberwindbares Hindernis mir den Weg versperrte. Plötzlich, von einem Schritt zum nächsten, ohne dass ich vorher etwas davon bemerkt hätte, befand ich mich auf einer freien Fläche mit einigen Schuppen und Garagen. Ein Mann mit grauem Schnurrbart und speckigem Jeanshemd hantierte an einem übergroßen Rasenmäher herum. Als er mich bemerkte, starrte er mich entgeistert an – wahrscheinlich traf er auf dieser Insel selten Leute und wenn doch, ausschließlich welche, die er bereits kannte.
„Das ist Privatbesitz“, sagte er, unsicher, ob ich unbefugt hier sei oder nicht.
„Ich weiß“, antwortete ich und: „Ich bin zu Gast bei Albert...von der Taubeninsel.“
Etwas absurd fand ich es, Onkel Albert in einem Gespräch so zu nennen, aber es rutschte mir einfach heraus, da ich ihn für mich stets mit diesem Namen bedachte. Der Mann verstand aber, was ich meinte und war zufrieden.
Ich fragte ihn, wo ich mich befände und er erklärte, dass dies die Wirtschaftshöfe für die Garten- und Forstarbeiter seien. Er erzählte mir auch, dass es nicht viel Personal gäbe. Zwei Gärtner und vier Forstarbeiter, ziemlich wenig für dieses große Anwesen, wie mir schien.
Der Waldarbeiter berichtete gerade über die Ausdehnung der Waldungen und den Bestand an alten Eichen, da trat Raik hinter einem der Schuppen hervor und starrte mich ebenso entgeistert an, wie der Arbeiter zuvor.
„Was tust du denn hier?“
Im gleichen Moment als er das fragte, platschten die ersten dicken Regentropfen auf den grauen Betonboden vor uns.
„Ich war spazieren.“
„Allein und mitten im Regen?“
Ich hatte das unbestimmte Gefühl, es war ihm gar nicht recht, mich hier zu sehen, allerdings wusste ich nicht, ob das etwas mit diesem Ort zu tun hatte oder mit der Tatsache, dass ich allein im Wald gewesen war. Ich fragte nicht weiter, als er uns beim Forstarbeiter verabschiedete und mich unauffällig mit sich hinter den Schuppen zog, von wo er gekommen war. Dann zeigte er mir einen schmalen Pfad, der zurück zum Herrenhaus führte. Vom Herrenhaus zu den Wirtschaftshöfen war es gar nicht sehr weit, zumindest im Vergleich zum Umweg, den ich durch den Wald genommen hatte.
„Ich möchte nicht, dass du allein zu den Höfen gehst“, begann er, neben mir herlaufend.
„Wieso nicht?“
„Hier ist weit und breit niemand, der dir helfen kann, falls dir etwas passiert.“
„Was soll mir denn passieren?“
„Na was weiß ich. Das sind alles kräftige Kerle. Wer weiß, auf was für Ideen die kommen.“
„Ich hoffe, doch auch anständige Kerle...“
„Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen.“
„Meinst du nicht, dass ich allein die Verantwortung für mich übernehmen kann?“, antwortete ich leicht verärgert, während der Regen auf meine Stirn trommelte.
„Deine Verantwortung nützt mir nichts mehr, wenn ich dich scheibchenweise aufsammeln darf.“ Sein Blick drückte tatsächlich ängstliche Besorgnis aus, was mir zum einen an das Herz ging, zum anderen wusste ich trotzdem, dass ich darauf niemals würde Rücksicht nehmen können.
„Ach komm! Jetzt übertreibst du aber! Du siehst zu viele Horrorfilme. Und überhaupt - was willst du tun? Mich in mein Turmzimmer sperren? Du weißt doch, in Märchen geht so etwas niemals
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