Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
identisch ist mit dem Namen des Mannes, mit dem die Mutter liiert ist. Die müssen doch immer alles angeben, wegen der Erreichbarkeit, wenn mal was passiert.«
»Das ist natürlich überhaupt kein Problem«, wurde Paul ironisch. »Wir gehen einfach zu Dr. Callidus und erzählen ihm, dass wir uns mal die Akten der Thomasser ansehen müssten, weil wir glauben, dass jemand die Sage von Ritter Harras nachspielt. Der wird uns die dann bestimmt sofort geben.«
Georg beachtete die Ironie nicht. »Ich hab da schon eine Idee. Wir treffen uns morgen um neun vor dem Kasten.«
Dienstagmorgen
Das Alumnat war nahezu menschenleer. Nur Mitarbeiter des Gesundheitsamtes verrichteten akribisch ihre Arbeit. Sie räumten sämtliche Lebensmittel aus dem Gebäude heraus, nahmen viele Proben und desinfizierten mit einem übel riechenden Spray nahezu alles.
Der Alumnatsleiter Dr. Callidus saß hinter seinem Schreibtisch in seinem Büro im Erdgeschoss und erledigte Verwaltungsarbeiten. Man sah ihm an, dass die jüngsten Ereignisse ihn mitgenommen hatten. Er hatte wenig geschlafen.
Es klopfte an der Tür.
»Herein.«
Die Tür öffnete sich langsam und Georg Schießer kam zögerlich in den Raum. »Darf ich Sie mal kurz sprechen, Herr Callidus?«
Der Alumnatsleiter schraubte seinen alten Füllfederhalter zu und nahm die Brille ab. Er sah Georg mit müden Augen an. »Natürlich, Georg. Was hast du auf dem Herzen?«
Georg druckste rum. »Na ja, die Dinge, die in letzter Zeit passiert sind. Das ist doch alles nicht normal. Ich wollte nur wissen … Unsere Japanreise, die findet doch statt, oder?«
Callidus winkte beruhigend. »Auf jeden Fall. Ich habe schon mit dem Thomaskantor gesprochen. Die Reisebesetzung besteht diesmal aus 60 Sängern. Acht der 15 Jungs, die erkrankt sind, wären ohnehin nicht mitgefahren, weil sie Dispis, also, im Stimmbruch sind.« Er lächelte väterlich. »Die Tournee ist also nicht gefährdet. Und außerdem hoffen wir doch alle, dass deine Freunde bald wieder gesund sind. Salmonellen sind zwar nicht gerade angenehm, aber man erholt sich schnell wieder, wenn man richtig behandelt wird.«
Georg blieb immer noch stehen. Verlegen verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Paul hat erzählt, die Polizei glaubt, das Wasser im Spender sei von jemandem vergiftet worden.«
»So, so. Und warum glaubt er das?«
»Der Polizist hat’s ihm erzählt. Dieser Kroll. Beim Mittagessen, gestern im Vapi.«
Callidus’ Aufmerksamkeit stieg. »Und was hat der Polizist Paul sonst noch so alles erzählt?«
Georg zuckte zögerlich mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Er sitzt draußen im Flur. Er wollte nicht mit reinkommen.«
»Einen Moment mal.« Der Alumnatsleiter stand auf und verließ das Büro. »Paul, kommst du mal bitte?«, hörte Georg von draußen seine Stimme.
Das waren genau die Sekunden, die Georg brauchte. Er eilte zum Fenster und entriegelte es mit dem Griff. Argwöhnisch betrachtete er den Flügel. Er blieb geschlossen. Vermutlich war er lange nicht mehr geöffnet worden.
Kroll und Wiggins saßen in ihrem Büro im Präsidium. Der Umstand, dass Kroll den Bericht über seine angebliche Körperverletzung an diesem Anwaltssohn schreiben musste, schien seine Laune nicht zu steigern. »Was bilden sich so Leute wie der Maschek eigentlich ein? Treiben sich nur mit Nutten, Zuhältern und anderen schweren Jungs herum, kassieren jede Menge blutige Asche und haben dann keine Zeit, sich um ihre Kinder zu kümmern. Und wenn die dann noch Scheiße bauen, wer muss das ausbaden? Wir mal wieder!«
Wiggins war in die Akten vertieft, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. Er hatte offensichtlich keine Lust, die familiären Probleme des Rechtsanwaltes, obwohl auch er ihn leiden konnte wie Zahnschmerzen, zu diskutieren. »Schreib deinen Bericht. Es war doch Notwehr. Reis wird die Sache schon einstellen.«
»Ist ja nur, weil es nicht die erste Anzeige gegen mich ist«, bemerkte Kroll kleinlaut. »Irgendwann wird da auch mal jemand in unserem Verein nervös werden.«
»Aber es war doch bis jetzt immer Notwehr«, stellte Wiggins lächelnd fest. »In allen 50 Fällen.«
»Sehr witzig!«
Kroll wechselte das Thema. Den blöden Bericht konnte er auch noch später schreiben. »Bei dem Thomanerfall kommen wir auch nicht weiter. Wie sollen wir denn überhaupt ermitteln? Da ist mir eine frische Leiche mit einem Loch im Kopf schon lieber. Da kann man wenigstens noch die Angehörigen, die Freunde und Geschäftspartner
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