Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
mal in Ruhe überlegen. Es gibt mehrere Möglichkeiten.«
Er lächelte sie an. »Ich könnte natürlich runtergehen und ihn vermöbeln. Aber das wäre keine gute Lösung. Der Effekt wäre nur kurzfristig und ich hätte das nächste Disziplinarverfahren am Hals. Aber jetzt mal ernsthaft: Wir haben eine sehr gute Abteilung für diese Stalkingfälle. Das geht auch relativ schnell. Du kannst ihm verbieten lassen, sich in deiner Nähe aufzuhalten und mit dir in Kontakt zu treten. Ich kenne die Abteilungsleiterin sehr gut. Die weiß, wie man mit solchen Dingen umgeht. Ich könnte dafür sorgen, dass dein Fall bei uns Priorität hat.«
Anja schien sich zu beruhigen. Es tat ihr gut, dass Kroll sich ihres Problems annahm.
»Ich hatte eigentlich eine andere Idee. Das klingt jetzt zwar völlig bescheuert, aber ich kenne ihn schon lange.«
»Was für eine Idee?«
»Ich glaube, wenn er mitkriegt, dass ich einen neuen Freund habe, wird er ziemlich schnell aufgeben. Er dreht zwar zurzeit durch, aber er ist der absolute Realist. Wenn er merkt, dass es endgültig vorbei ist, wird er kapitulieren und mich in Ruhe lassen.«
Kroll ahnte nichts Gutes. »Wie meinst du das genau?«
Anja lächelte verlegen. »Ach, vergiss es. War nur so eine Idee.«
»Meintest du etwa, ich sollte jetzt deinen Freund spielen, ihm etwas vorgaukeln?«
»Ich hab doch gesagt, vergiss es.« Die Tränen liefen an ihren Wangen herunter. Sie biss sich auf die Unterlippe. »Es war wirklich ein kindischer Einfall.«
Kroll ging zum Fenster und sah hinaus. Der rote Golf stand immer noch da. »Hat der eigentlich Zeit ohne Ende?«
Anja zuckte mit den Schultern. »Er hat eine kleine Firma. Die machen Verpackungsschächtelchen für Schmuck. Hat seine Arbeit anscheinend sehr umfassend delegiert. Helmut konnte schon immer ganz gut andere für sich arbeiten lassen.«
Kroll drehte sich um. »Ich muss frische Luft schnappen. Ich drehe jetzt mal eine Runde durchs Rosenthal.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. »Kommst du mit?«
Anja lächelte und ergriff schnell seine Hand. Obwohl Kroll wusste, dass alles nur gespielt war, empfand er es als sehr angenehm, ihre zarten Finger mit seinen zu umschließen.
Als sie den Gehweg erreicht hatten, lachte Anja Kroll an, legte ihren Arm um seinen Hals und gab ihm einen Kuss. Auch die Runde durchs Rosenthal gingen sie Händchen haltend. Kroll wusste nicht, ob das überhaupt erforderlich war, aber Anja dachte sich wohl, sicher ist sicher. Kroll hatte zumindest keine Einwände.
Die Aktion schien erste Früchte zu tragen. Als sie zurückkamen, war der rote Golf samt Fahrer verschwunden. Kroll musste Anja versprechen, am Abend wiederzukommen und zumindest zum Abendessen zu bleiben. Sie würde etwas Leckeres kochen. Kroll wünschte sich irgendetwas mit Fisch.
Donnerstagmittag
Kroll und Wiggins beratschlagten in ihrem Büro die weitere Vorgehensweise.
»Meinst du, wir sollten uns mal mit diesem Dr. Fleischer unterhalten?«, fragte Wiggins.
»Ich glaube, das ist noch zu früh. Wir brauchen erst mehr Informationen. Und diesen Anwalt Maschek müssen wir uns auch noch mal vorknöpfen.«
»Der erzählt uns doch noch weniger.«
»Reden wir noch mal mit Callidus«, schlug Kroll vor und griff nach seiner Jacke.
Dr. Callidus empfing sie in seinem Büro. Er gab sich keine Mühe, seine Verärgerung zu verbergen. »Dr. Maschek macht ziemlich Ärger wegen des Zeitungsartikels. Er hat uns schon mit rechtlichen Schritten gedroht. Das können wir zurzeit überhaupt nicht gebrauchen. Haben Sie etwa mit diesem Reporter geredet?«
Kroll versuchte, diplomatisch zu wirken. »Aber es ist doch klar, dass die Presse an der Geschichte dran ist, nach all den Vorfällen. Es war bestimmt nicht schwierig, gesprächige Eltern zu finden, die gegenüber der Zeitung ihren Sorgen Luft machen. Wurden nicht sogar Eltern in dem Artikel erwähnt?«
Krolls Antwort schien Callidus zu beruhigen. »Zumindest wird Herr Dr. Maschek das akzeptieren müssen.«
»Ihnen kann doch gar nichts passieren«, legte Wiggins nach. »Für Auskünfte von Eltern gegenüber der Presse ist die Chorleitung sicher nicht verantwortlich. Weder rechtlich noch sonst wie.«
»Was gedenken Sie jetzt zu tun?«, wechselte der Alumnatsleiter das Thema.
Kroll wollte gerade erzählen, was er von Paul und Georg erfahren hatte. Er unterbrach sich jedoch selbst, weil er befürchtete, dass Dr. Callidus dann klar sein würde, wer ins Alumnat eingebrochen war. Er gab vor, den Zusammenhang mit
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