Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
dir doch gestern schon gesagt: Wenn du heutzutage so etwas nur erwähnst, schreien die doch gleich alle Datenschutz.«
Wiggins wechselte das Thema. »Wo ist eigentlich die hübsche Frau Gans heute?«
»Die hat heute noch einen Tag Urlaub, wegen ihres Umzuges. Sie muss noch einräumen und so Sachen erledigen«, antwortete Kroll wie aus der Pistole geschossen.
Wiggins war erstaunt. »Du bist aber gut informiert.«
»Sie schraubt gerade ein Wohnzimmerregal zusammen.«
Wiggins’ Blick war eine Kombination aus Überraschung und Anerkennung. »Und woher weißt du das so genau?«
»Weil ich gerade bei ihr war. Wir sind sozusagen Nachbarn.«
»Läuft da was?«
»Nur gute Freunde.«
Wiggins gab sich mit der Antwort zufrieden. »Dann fassen wir mal zusammen: Der Verdächtige Dr. Fleischer wird nicht vernommen, der Verdächtige Dr. Maschek wird nicht vernommen, Gentests machen wir auch nicht, neue Spuren gibt es ebenfalls nicht, dann können wir ja jetzt Anja Gans bei ihren Möbeln helfen.«
»Gute Idee. Die wird sich bestimmt freuen.«
»Fragt sich nur, ob sich auch der Chef freut, wenn wir ihm statt eines Ermittlungsergebnisses freudestrahlend erzählen, dass wir immerhin vier Birkelands aufgebaut haben.«
»Vermutlich wird sich der Chef nicht darüber freuen, wenn wir nur Ikea-Schränke aufgebaut haben«, antwortete Kroll.
»Also?«
»Lass uns doch mal den kleinen Fleischer besuchen, diesen Ludwig. Ich weiß, dass der jetzt schon wieder zu Hause ist. Vielleicht haben wir ja Glück und können die Mutter ein bisschen ausquetschen.«
Ludwig Fleischer, seine Mutter Heidi und ihr Lebensgefährte bewohnten ein hübsches Einfamilienhaus im Leipziger Stadtteil Leutzsch. Der Garten war auffällig gut gepflegt, unter dem Carport neben der weiß gepflasterten Einfahrt stand ein Mercedes C-Klasse Coupé.
Heidi Fleischer öffnete ihnen die Tür und führte die Polizisten ins Wohnzimmer, nachdem sie sich vorgestellt hatten. Aus dem oberen Stockwerk war deutlich die Musik von Linkin Park zu hören. Ludwigs Mutter war alles andere als eine unscheinbare Frau. Schon der Duft ihres Parfüms, der ihnen entgegenschlug, war außergewöhnlich, obwohl es sehr dezent und nicht aufdringlich war. Sie trug eng anliegende weiße Armani-Jeans, ein weinrotes Top und einen anthrazitfarbenen Blazer. Über ihrem Dekolleté hing ein goldenes Kreuz an einer feingliedrigen Kette. Sie hatte dunkles, gewelltes Haar, das am Hinterkopf über den Kragen reichte. Ihr Make-up betonte die gebräunte Haut. Ihr Alter war nur schwer zu schätzen, aber Kroll dachte, dass sie mindestens zehn Jahre älter war, als sie aussah.
»Ich bin sehr froh, Sie kennenzulernen«, sagte sie, nachdem sie den Kommissaren einen Platz in den großen, dunklen Ledersesseln angeboten hatte. »Unser Ludwig ist gestern aus dem Krankenhaus entlassen worden, und Sie können sich sicherlich vorstellen, dass eine Mutter sich da auch so ihre Sorgen macht.«
Sie selbst setzte sich nicht hin, sondern blieb gegenüber den Polizisten stehen. »Ich wollte mir gerade einen Latte macchiato machen. Darf ich Ihnen auch einen anbieten?«
Kroll und Wiggins bejahten höflich lächelnd. Heidi Fleischer verließ das Wohnzimmer, vermutlich in Richtung Küche.
Wiggins sah sich um. »Hab schon schlimmere Hütten gesehen.«
»Nach Hartz IV sieht mir das hier nicht gerade aus«, bestätigte Kroll.
»Mich würde mal interessieren, woher sie die ganze Asche hat. Es gibt doch eigentlich nur drei Möglichkeiten: Entweder von unserem verdächtigen Doktor, von Ludwigs neuem Vater oder sie hat die Knete selbst verdient.«
»Du hast die Eltern vergessen«, schmunzelte Kroll. »Glaub mal jemandem, der mehr Erfahrung mit Frauen hat als du. Diese Lady kommt nicht aus einfachen Verhältnissen. Die ist nicht neureich. Ich vermute, ihre Familie hat seit vielen Generationen Geld ohne Ende.«
Die Polizisten brachen abrupt ihr Gespräch ab, als Heidi Fleischer zurückkam. In ihren Händen hielt sie ein Silbertablett mit drei Kaffeegläsern.
Kroll entschied sich, das Gespräch mit ein wenig Small Talk zu eröffnen. »Wie geht’s Ludwig?«
»Er ist oben und hört Musik.« Sie lächelte entschuldigend. »Das ist Ihnen ja bestimmt nicht entgangen. Es geht ihm eigentlich wieder ganz gut. Ist noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber das Schlimmste hat er überstanden.« Sie stöhnte leicht. »Im Gegensatz zu dem armen Max.«
Kroll löffelte mit dem langen Löffel den Schaum aus seinem Latte macchiato.
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