Goldmacher (German Edition)
laut über den Generationswechsel nach und darüber, dass sich die Redaktion deutlich verjüngen müsse, wollte sie die neue Generation erreichen, denn ihm gelänge das wohl eher nicht.
Hans-Ulrich, der mit Veronika neben ihm ging, schüttelte energisch den Kopf, er lege keinen Wert auf die da, er machte eine Kopfbewegung Richtung Audimax. »Die verderben nur unser Leserprofil«, meinte er spöttelnd. Außerdem würden die da, er nickte erneut in dieselbe Richtung, eine verschwindend kleine Minderheit repräsentieren.
»Aber eine mit großem Gewicht!«, warf Sissi ein. Sie bedauere es sehr, nichts über die Revolution erfahren zu haben.
»Du wirst heute Abend noch genug Gelegenheit bekommen, wir erwarten Gäste aus Berlin«, versprach der Gastgeber kurz darauf, als er von Sissis Bedauern hörte.
»Echte Revolutionäre?«, fragte Sissi, schüttelte die Nässe aus dem Haar und schaute belustigt.
»Könnte schon sein«, meinte der Gastgeber, »zumindest will einer von ihnen zu Che nach Bolivien aufbrechen, deshalb der Besuch beim potenziellen Klassenfeind.« Er schmunzelte, ein potenzieller Klassenfeind zu sein gefiel ihm sichtlich.
»Du machst uns neugierig!«, versicherte ihm Hans-Ulrich spöttelnd und witterte dann gleich eine an Anton gerichtete Geldforderung in nicht unbeträchtlicher Höhe zur Unterstützung des revolutionären Kampfes. »Wie wir gehört haben, soll ja kein Geld mehr für Medikamente, sondern für Waffen eingesammelt werden!«
»Den Besuch verdanken wir Irene«, verriet der Gastgeber mit bedeutungsvoller Miene.
»Da kann man ja tatsächlich gespannt sein«, meinte Anton und vollführte einen Sprung Richtung Küchentür, um der Hausfrau zu helfen, die in der einen Hand eine große Schüssel mit dampfenden Wiener Würstchen und in der anderen eine mit Kartoffelsalat jonglierte. Sie stellte die beiden Schüsseln zu den Tellern, dem Besteck, den Getränken und den Gläsern auf eine Anrichte und bat ihre Gäste, sich zu bedienen. Jeder fühlte sich wie ausgehungert nach der ungewohnt ereignisreichen Veranstaltung im Audimax und setzte sich umgehend mit Kartoffelsalat und Würstchen an einen der Tische.
»Ich bin gegen Waffen«, knüpfte Sissi an Hans-Ulrichs Bemerkung an. »›Make love not war‹ ist allerdings auch keine Lösung, um kriegerische Konflikte langfristig zu verhindern.«
»Und was könnte deiner Meinung nach eine langfristige Lösung sein?«, wollte Irene, sie saß ihr am Tisch gegenüber, etwas spitz wissen.
»Liebe«, sagte Sissi, »nicht Sex, nur Liebe kann die Welt retten.«
»Habt ihr gehört«, rief Irene laut und drehte sich dabei zu den anderen Gästen im Raum um, »was Sissi predigt: Nur Liebe kann die Welt retten! Ist das nicht süß?« Irene lachte laut auf.
»Ja, so ist es«, bestätigte Sissi und schickte ein strahlendes Lächeln in die Runde. Anton liebte dieses Strahlen, das Sissis Gesicht überzog, wenn sie von Liebe sprach. Von dieser besonderen Liebe, die sie erst mit der Geburt der Zwillinge entdeckt hatte, wie sie sagte. Eigentlich sei sie noch im Prozess des Entdeckens, hatte sie erklärt, als er nicht verstand, welche Art Liebe sie meinte. Und er hatte sie, diese Liebe, bisher auch immer noch nicht wirklich verstanden, war jedoch sofort bereit, Sissi zuzuhören, wenn sie von ihr sprach, allein wegen dieses Strahlens. Damit hellte sich augenblicklich jede Verstimmung in ihm auf, verschwanden Ärger, Unlust und Zweifel, zumindest für einen Moment. Danach sah er die Dinge dann anders, manchmal sogar neu. So hielt er jetzt kurz inne und schaute Sissi an, und der Ärger über sein Scheitern, ja, er war mit seinem Vernunftappell bei den Studenten im Audimax gescheitert wie seit Langem nicht, ließ etwas nach.
»Revolutionen haben die Welt verändert, nur Revolutionen, ganz gewiss nicht die Liebe«, verkündete Irene entschieden. »Die Liebe ist«, sie suchte nach einem Vergleich, »Opium fürs Volk, ist«, sie war unzufrieden mit dem Vergleich, suchte weiter, »ist Kirchenkitsch, ja, Kirchenkitsch!«
»Könnte deine Revolutionsbegeisterung vielleicht eine Art Schuldmanagement sein?« Sissi schaute Irene wie prüfend an, so als müsste sie es herausfinden.
»Schuldmanagement? Das ist aber ein interessanter Begriff! Hast du ihn dem süßen Kind beigebracht?«, wandte sich Irene an Anton und entzog sich damit Sissis fragendem Blick.
»Nach Sissis Definition bin auch ich ein Schuldmanager«, erklärte Anton.
»Ein Manager, der seine eigene Schuld managt
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