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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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die liberalen Momente seiner Position als selber autoritär begreifen.« Mit sich steigerndem Nachdruck in der Stimme fuhr er fort: »Wir müssen unsere Hilfe vom Kauf von Medikamenten zum Kauf von Waffen verändern!«
    An vielen Stellen im Saal brach aufbrausende Zustimmung los, von heftigem Fußgetrampel begleitet. Eine Gruppe junger Männer und Frauen drängte in den Mittelgang, warf die Arme in die Luft und skandierte mit »Ho-Ho-Ho-Chi-Minh« den Namen des nordvietnamesischen Präsidenten und Revolutionsführers. Parallel entrollte eine andere Gruppe ein Transparent mit Ho Chi Minhs Aufforderung: »Errichtet die Revolution in eurem eigenen Land.« Auf dem Podium brachte das den anderen der beiden Studentenvertreter dazu, spontan ins Mikrofon zu rufen: »Solidarität mit dem vietnamesischen Volk bedeutet für uns, dass wir an der Revolution im eigenen Land arbeiten!« Daraufhin wollte der Soziologie-Professor wissen, was denn Revolution im eigenen Land, in der BRD , bedeuten würde.
    »Der permanente Kampf der sich spontan mobilisierenden Massen«, antwortete der Studentenvertreter, »ist ein permanenter Kampf nicht nur gegen den amerikanischen, sondern gegen jeden anderen Imperialismus auch, gegen …«
    Weiter kam er nicht, eine Mädchengruppe stürmte plötzlich auf das Podium. Eines der Mädchen eroberte sich blitzschnell eins der Mikrofone, schritt dann den Rednertisch ab und stellte dabei in anklagendem Stakkato fest, dass ausschließlich Männer auf dem Podium säßen und Männer diskutierten.
    »Das ist extrem antidemokratisch und extrem antiemanzipatorisch«, rief das Mädchen ins Mikrofon. Die anderen Mädchen wiederholten es im Chor. Um die Aufmerksamkeit für die Anklage, die das Mädchen und der Chor im Stil griechischer Tragödien permanent wiederholten, noch zu steigern, zogen sich nun zwei aus der Gruppe nackt aus und setzten sich vor dem studentischen Diskussionsleiter auf den Rednertisch. Damit hatten sie erreicht, dass sich tatsächlich sämtliche Kameraaugen und wohl auch die Blicke aller aus dem Saal auf sie richteten.
    Schließlich eilten Polizisten in Zivil auf das Podium und forderten die Mädchen auf, es zu verlassen. Sie weigerten sich, worauf die Ordnungshüter versuchten, sie abzuführen, doch die Mädchen entwischten immer wieder. Daraufhin brach im Saal einerseits große Belustigung und andererseits vehementer Protest aus.
    Ein Jüngling mit langem Haar und einem Plakat, auf dem in übergroßen Buchstaben stand »Make Love not War«, stürmte den Seitengang hinunter, um das Durcheinander dafür zu nutzen, selbst das Podium zu erklimmen. Er übergab das Plakat einem der Mädchen, das sich erfolgreich den Ordnungshütern widersetzt hatte. Das Mädchen schritt nun wie ein Nummerngirl mit dem Plakat den Rednertisch ab, während der Jüngling begann, sich ebenfalls auszuziehen.
    Im Saal spalteten sich die Lager, es gab zustimmende Rufe zum Geschehen auf dem Podium, und es brach große Unruhe aus. Spruchbänder und Transparente mit durchaus gegensätzlichen Aufrufen, Forderungen, Ablehnungen oder Zustimmungen wurden entrollt, während das Podium trotz des andauernden Handgemenges mit den Ordnungshütern von immer mehr Studenten in Besitz genommen werden konnte. Unter fortwährender Beobachtung durch die Fernsehkameras schlossen sich die Eroberer des Podiums entweder demonstrativ den »Nackten« an und zogen sich aus, oder den »Roten« und entrollten Transparente.
    »Ich glaube, wir werden hier nicht mehr gebraucht«, meinte Anton schließlich trocken zum studentischen Diskussionsleiter. Wie die beiden anderen Studentenvertreter schaute auch er einigermaßen ratlos, um schließlich bekannt zu geben, die Veranstaltung sei hiermit beendet. Das Handgemenge und die Demonstrationen auf dem Podium hielten jedoch an, und auch im Saal wurde weiter demonstriert.
    Sissi bahnte sich einen Weg durch die Menge zu Anton, der wie seine Mitstreiter von der Mädchengruppe daran gehindert wurde, das Podium zu verlassen. Die jungen Frauen bestanden darauf, mit ihnen über ihre Forderungen zu diskutieren.

2.
    »Enttäuscht?«, fragte Sissi später leise und drängte sich fröstelnd an Anton, sie waren mit Hans-Ulrich und Veronika auf dem Weg zu der kleinen Feier, die ein befreundeter Fernsehmoderator für Anton in seiner Wohnung unweit des Audimax vorbereitet hatte. Es war kalt und ein feiner Sprühregen wehte ihnen ins Gesicht.
    »Sie haben dich nicht verstanden«, sagte Sissi.
    Anton nickte, dachte dann

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