Goldmacher (German Edition)
eine Kopfbewegung in ihre Richtung. Anton folgte ihr und sah, wie Hans-Ulrich auf Lexa einredete.
»Ich glaube, diese Chance hat mir mein Geschäftsführer nun endgültig versaut«, sagte Anton und ging auf die beiden zu, doch da stoben Lexa und Hans-Ulrich auch schon in gegensätzliche Richtungen auseinander.
»Zu spät«, sagte Anton nur. Gemeinsam mit Sissi folgte er Franzens Tochter in den Kreis um ihren Berliner Freund Christoph, der gerade etwas zu demonstrieren schien. Er hielt den Kopf leicht gesenkt, seine Arme waren auf Schulterhöhe angewinkelt und seine Hände umkreisten mit ausgestreckten Zeigefingern die Ohrmuscheln. Sein Publikum, unter ihnen auch Veronika und Irene mit ihrem Mann, folgten gespannt dem Kreisen der auf die Ohrmuscheln gerichteten Zeigefinger.
»Und dann schlägt sie um«, sagte Christoph in theatralischem Tonfall. Bei dem Wörtchen »um« bog er seine Hände mit den ausgestreckten Zeigefingern in die den Ohrmuscheln entgegengesetzte Richtung nach außen, sie wirkten wie zum Abschuss bereite Geschosse. Jetzt verharrte er in dieser Haltung, seine Zuschauer warteten gespannt auf den Fortgang, doch dann ließ er einfach die Arme sinken, lächelte freundlich und blickte die Umstehenden prüfend an, ob es ihm wohl gelungen sei, ihnen mit seiner kleinen Demonstration zu verdeutlichen, wie die spätkapitalistische Gesellschaft durch die Verarmung der Mittelschicht in eine Diktatur des Proletariats umschlagen würde.
»Wie soll oder kann man sich diesen Umschlag, dieses Umschlagen vorstellen?«, fragte der Gastgeber interessiert.
»Wie bei der Milch«, rief Irenes Mann spontan, bevor Christoph antworten konnte, »wenn Milch umschlägt, wird sie erst einmal sauer, dann dick und mit etwas Geschick wird dann Quark oder Käse daraus!«
Alles lachte, auch Christoph, dann rief er jedoch ins allgemeine Gelächter, Irenes Mann habe sich wie ein typischer Bourgeois im kulinarischen Vergleich verirrt, und klärte den Verirrten noch einmal mit Karl Marx darüber auf, wie die Mittelschicht in absehbarer Zeit durch den Monopolkapitalismus verarmen würde: »Das bedeutet, die Masse verdichtet sich, wird angereichert wie Uran, wird zum gesellschaftlichen Explosionspotenzial und nicht etwa zu Dickmilch.« Er lächelte nachsichtig.
»Revolution statt Quark und Käse«, verdeutlichte Paulas Freund Peter und lachte wieder sein schallendes Lachen. Nur Irene lachte mit, wie alle bemerkten.
»Ihr wollt also in Lateinamerika für die Befreiung vom amerikanischen Imperialismus sterben?«, machte sich daraufhin Irenes Mann über Christoph und Peter lustig.
»Ich nicht«, rief Christoph sofort, »aber der da.« Er zeigte mit gespieltem Pathos auf Peter.
»Klappt denn die Passage auf eurem Bananendampfer?«, wollte Sissi nun von Irene wissen, und als sie ihr das schwärmerisch bestätigte, fragte Sissi, ob auch sie vorhabe, zur Revolution nach Südamerika aufzubrechen.
»Du bist hinterhältig und gemein!«, rief Irene, und ihr Gesicht färbte sich dunkelrot, »du mit deinem Liebesgesäusel!«
»Nur Revolutionen haben die Welt verändert«, zitierte Sissi Irene und fragte dann Christoph und Peter: »Und wie wird die Revolution unsere BRD verändern?«
»Ich glaube, wir müssen jetzt aufbrechen«, beendete Paula vorsorglich das Gespräch, ehe Sissi und Irene in weitere Auseinandersetzungen geraten konnten und dadurch vielleicht die Bananendampferpassage, die sie, Paula, eingefädelt hatte, sie kannte Irene aus ihrer Hamburger Zeit, in Gefahr brachte.
»Es war schön, dich mal wieder zu sehen«, verabschiedete sie sich von Anton, »besucht uns in Berlin, wenn ihr mehr über die Revolution wissen wollt.« Damit hob sie die Faust zum Genossengruß und stampfte mit ihren schweren Stiefeln über die helle Auslegware zur Tür, gefolgt von den besorgten Blicken der Hausfrau. Und von Peter, Christoph und Lexa. Der Gastgeber eilte hinterher.
»Paula hat sich aber sehr verändert«, sagte Irene, kaum hatte sich die Tür hinter den Berlinern geschlossen. Sie ließ sich aufs Sofa fallen, dabei schwappte der Rotwein aus ihrem Glas, das sie in der Hand hielt, und auf ihr Kleid. Sie ignorierte den dunklen Fleck, der sich auf dem hellen Wolljersey ausbreitete, sie war viel zu aufgeregt und vor allem auch nicht mehr ganz nüchtern.
»Ich hätte Paula fast nicht wiedererkannt«, sagte sie voll Staunen und fuhr dann betrübt fort: »Verglichen mit ihr habe ich mich heute Abend ziemlich alt gefühlt.«
»Aber Schätzchen, was
Weitere Kostenlose Bücher