Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
Vom Netzwerk:
Leni einen Serviertisch mit heißem Kaffee neben die Schreibtischlandschaft, auf der mindestens zwei Dutzend mittelgroße Fotos und etliche Fernschreiben lagen.
    »Der Chef wird in circa einer Stunde eintreffen«, gab sie Antons letzte Meldung an die zwar übermüdeten, aber auch aufgekratzten Mitarbeiter weiter.
    Die Mitarbeiter nahmen sich die Tassen vom Tablett, schlürften vorsichtig den heißen Kaffee, umkreisten dabei, die Untertassen unter die Tassen haltend, die Schreibtischlandschaft und betrachteten aufmerksam jedes Foto.
    Die Fotos zeigten Polizisten im Einsatz. Sie waren mit Schlagstöcken bewehrt, trugen Uniformen und schwere Stiefel. Man sah sie zu vielen, schlagend und prügelnd in Gruppen von Demonstranten, mit einzelnen Demonstranten, die zu fliehen versuchten, auch hinterherjagend.
    Der Bildredakteur legte jetzt am Rand der Schreibtischlandschaft eine neue Fotostrecke aus. Sie zeigte Bild für Bild aus unterschiedlichen Perspektiven einen jungen Mann. Er lag, den Körper ausgestreckt, am Boden auf dem Straßenpflaster. Auf einem der Fotos kniete neben ihm eine junge Frau, die seinen Kopf hielt. Eine Blutlache hatte sich um den Kopf gebildet.
    Noch war nichts Genaueres über den jungen Mann und über den Schuss bekannt. Nur dass der junge Mann ein Student war und dass ein Polizist den Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf des jungen Mannes abgefeuert hatte.
    Die Mitarbeiter studierten abwechselnd einzeln und dann wieder in kleinen Gruppen die Fotos von dem jungen Erschossenen. Keiner sagte ein Wort.
    »Unser Land wird sich verändern«, sagte dann einer der Mitarbeiter in die schweigende Runde.
    »Unser Land hat sich bereits verändert«, sagte Hans-Ulrich und beugte sich zu einem der Fotos hinunter, das in der Mitte lag. Es zeigte ein Getümmel von schlagenden Polizisten und eingekesselten Demonstranten und Passanten. Er nahm es in die Hand und hielt es in die Runde: »Das hat es bisher noch nicht gegeben in unserer BRD !« Er schaute selber wieder auf die knüppelnden Polizisten, lief plötzlich zu Leni ins Vorzimmer und ließ sich von ihr eine Lupe geben, mit deren Hilfe er eine der eingekesselten Frauen vergrößert betrachten konnte. Es war tatsächlich Paula.

Kapitel III
    Lehrlinge
und alte Meister
    1968–1989

1.
    Sie antworteten mit einem Pfeifkonzert. Überrascht wich Anton vom Mikrofon zurück, noch nie war er an diesem Ort von seinen Zuhörern ausgepfiffen worden. Vor einem halben Jahr hatten ihm die Studenten hier im Audimax nach seinem Vortrag über die Rolle der Medien in der Demokratie noch lautstark Beifall gespendet. Wie stets in den vergangenen Jahren nach Vorträgen oder Diskussionen. Und jetzt dieser Stimmungsumschwung. Er richtete sich auf und versuchte, die Protestierenden im überfüllten Saal zu erkennen, doch das Scheinwerferlicht blendete ihn, der Norddeutsche Rundfunk dokumentierte diese Veranstaltung zur Eskalation des Krieges in Vietnam. Er hatte seine Teilnahme zugesagt, weil dieser Krieg ihn mehr als alle anderen Kriege und Konflikte der vergangenen Jahre erschüttert, ja, aufgewühlt hatte. Zum ersten Mal träumte er von eigenen Kriegserlebnissen, wachte nachts schweißgebadet auf, nie zuvor war ihm das passiert.
    Er gab seinen Mitstreitern auf dem Podium, zwei Studenten vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund, ein Professor der Soziologie und ein Professor der Politologie, ein Zeichen, beugte sich dann wieder vor zum Mikrofon und rief der lärmenden Menge mit großer Entschiedenheit zu: »Mein Verstand, mein ganz normaler Menschenverstand kann jedes weitere Vietnam nur abscheulich und grausam finden!«
    Er wurde erneut ausgepfiffen.
    Anton lehnte sich verwundert in den Stuhl zurück. Er war auf Agitation vorbereitet, jedoch entschlossen gewesen, mit Vernunft zu argumentieren, und die musste den Aufruf von Studenten, überall in der Dritten Welt ein weiteres Vietnam zu schaffen, damit sich der amerikanische Imperialismus ein für alle Mal demaskiere, schlicht als Unsinn ablehnen. Aber offensichtlich überzeugte er nicht mehr. Oder er missverstand dieses Publikum.
    Die Fernsehkamera glitt zurück, schwenkte vom Podium in die Menge der Zuhörer und mit ihr der auf ihn gerichtete Scheinwerfer. Anton wollte die wohltuende Lichtpause nutzen und ein Glas Wasser trinken, da geriet Sissi in der ersten Reihe in den Lichtkegel. Neben ihr saßen Hans-Ulrich und Veronika.
    Sissi legte eine Hand über die Augen und sah zu ihm hinauf, sie hob die andere Hand und machte

Weitere Kostenlose Bücher