Goldmacher (German Edition)
oder die der anderen?«, fragte sein Tischnachbar.
»Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit beides, wir Deutschen haben doch eine Menge Schuld, oder?«, antwortete Anton.
Bevor der Tischnachbar etwas erwidern konnte, wandte sich Irene wieder an Sissi: »Und welche Schuld manage ich mit meiner Revolutionsbegeisterung, wenn ich die denn tatsächlich haben sollte?«, wollte sie nun von ihr wissen.
»Ich nehme an, die Schuld deines Vaters, unterstützt er nicht mit seinen Bananendampfern die berüchtigte United Fruit Company?« Sissi lächelte etwas verlegen, sie wollte Irene nicht verletzen.
Sofort flog Irenes Hand hoch, und mit einer schnappenden Bewegung fing sie eine imaginäre Fliege vor Sissis Gesicht, was so viel bedeuten sollte wie: Du bist verrückt, sie sprach es jedoch nicht aus, sprang aber abrupt auf.
»Liebe!«, rief sie dabei und verdrehte die Augen. »Eines Tages wird der große Anton seine kleine Sissi noch für eine Heilige halten.«
Ein lauter Klingelton unterbrach Irene.
»Das sind bestimmt die Berliner! Willst du sie begrüßen?«, fragte der Gastgeber Irene.
Sie machte eine ablehnende Geste, sie war durch Sissis Bemerkung verstimmt und zog sich ins Nebenzimmer zurück.
Der Klingelton schrillte erneut auf und der Gastgeber eilte nun selber zur Tür, gefolgt von vielen neugierigen Blicken. Die Gespräche verstummten, es wurde still.
»Kommen Sie rein!«, hörten die Neugierigen den Gastgeber dann die späten Gäste begrüßen. Einige, die ganz in der Nähe des Eingangs standen, sahen, wie er die Spätankömmlinge mit einer etwas übertriebenen Verbeugung bat einzutreten. Zwei Frauen folgten als Erste seiner Aufforderung, ihnen folgten zwei Männer, dann war ein kurzes Aufstöhnen der Hausfrau zu hören: Mochten die Stiefel der Berliner auch für schwieriges Gelände geeignet sein, für die helle Teppichauslegware in der Wohnung waren sie es nicht, sie hinterließen dunkle Abdrücke. Was die vier Neuankömmlinge ignorierten, sie zogen weder die Stiefel noch sonst eins ihrer Kleidungsstücke aus.
»Die sind im revolutionären Einsatz«, kommentierte Antons Tischnachbar leise.
Die vier Neuankömmlinge blieben im Eingangsbereich stehen und eine der beiden Frauen begann, auf den Gastgeber einzureden.
Sissi bemerkte den Ruck, der durch Antons Körper ging: »Kennst du jemanden von ihnen?«
»Ich glaube schon«, sagte Anton und stand auf.
Sissi sah, wie er langsam auf eine Frau zuging, die eine grau-beige karierte Ballonmütze trug und einen olivgrünen Military-Trenchcoat.
»Du bist ja kaum wiederzuerkennen!«, platzte es aus Anton heraus, als er ihr nahe genug war. Er sah sie voll Staunen an und war sichtlich von ihrer Erscheinung beeindruckt.
»Nett, dich mal wieder zu sehen«, sagte Paula ziemlich kühl, sie war nicht überrascht, sie hatte gewusst, dass sie Anton hier treffen würde, und stellte ihm den jungen Mann in der wuchtigen schwarzen Lederjacke mit dem langen schwarzgelockten Haar vor, der neben ihr stand. Er hieß Peter.
»Gratuliere«, sagte Anton.
»Wozu?«, fragte Paula.
»Zu Peter.«
Peter warf den Kopf zurück und lachte schallend.
Die zweite Frau aus Berlin, eingehüllt in einen Parka und mit einem Palästinensertuch um den Hals, stellte sich neben Peter.
»Erkennst du mich nicht?«, fragte sie Anton und zog ein paar kindliche Grimassen.
Anton rätselte herum und schüttelte schließlich den Kopf.
»Sag du es«, forderte die junge Frau Paula auf.
»Das ist Lexa«, stellte Paula vor.
Anton fasste sich an die Stirn, nein, niemals hätte er sie wiedererkannt, die älteste Tochter von Franz, von der ihm der Freund in letzter Zeit viel erzählt hatte. Franz nannte Lexa, seitdem sie in Berlin an der Freien Universität studierte, eine Stadtguerillera.
»Christoph«, stellte sich nun der vierte Gast aus Berlin vor, ein junger Mann, der einen hellgrauen Anzug trug, darunter einen blauen Pulli und ein weißes Hemd.
»Seid ihr für die Veranstaltung im Audimax extra aus Berlin angereist?«, fragte Sissi, die sich zu der Runde gesellt hatte.
»Du erinnerst dich doch noch an Paula, oder?«, half Anton.
»Paula?«, fragte Sissi, »du meinst deine Paula?« Überrascht schaute sie zwischen den beiden hin und her.
»Ich bin inzwischen seine Paula«, sagte Paula und legte demonstrativ einen Arm um Peter.
»Gratuliere«, sagte nun auch Sissi, woraufhin Peter wieder den Kopf zurückwarf und schallend lachte.
»Wir haben hier noch einiges zu erledigen, meine Liebe«, flüsterte
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