Goldmacher (German Edition)
machen?, hatte er Leni immer wieder gefragt. Wenn Franz angerufen hatte, ließ er sich verleugnen oder sagte, er sei in einer Besprechung, er hatte nicht gewusst und wusste es immer noch nicht, wie er ihm erklären sollte, was Hans-Ulrich geschmeidig verharmlosend mit Nazigold umschrieben hatte und dass sein Vater Hubert in die Geschäfte mit diesem Nazigold verwickelt gewesen war. Davon würde auch Franz bald durch das Blatt erfahren. Oder hatte er es vielleicht doch gewusst? Mit Sissi hatte er darüber nicht gesprochen, er wollte sie nicht mit den Notizen dieses August Lowicki belasten. Und doch war Sissi es dann gewesen, die den entscheidenden Hinweis gegeben, den Schlüsselsatz gesagt hatte, der zu seinem großen Plan, dem neuen Unternehmenskonzept, führte.
»Wir ändern nichts, wenn wir immer nur alles wiederholen, wir müssen es anders machen!«, hatte sie ausgerufen und zornig eins ihrer Bücher über Langzeitstudien auf den Tisch geworfen.
Wie elektrisiert war er aufgesprungen, und die Hunde waren auch aufgesprungen. Obwohl bereits nach Mitternacht, war er zum großen Erstaunen von Sissi hinunter an die Elbe gegangen. Die Hunde waren nicht von seiner Seite gewichen, sie mussten seine innere Aufregung gespürt haben. Es seien Hütehunde, hatte Sissi erklärt, als sie die Hunde angeschafft hatte. Jetzt, wo er so stürmisch die Nacht durchschritt, hüteten sie ihn.
Danach hatte er sich in sein Arbeitszimmer gesetzt und die ersten Stichpunkte zu dem neuen Unternehmenskonzept notiert, das Hans-Ulrich jetzt in den Händen hielt.
Der doppelte Espresso, daneben der Zuckerstreuer standen unangerührt auf dem Tablett, das die Sekretärin vor ihn hingestellt hatte. Er hielt die Seiten des handschriftlich verfassten Konzepts gebündelt in einer Hand, blickte auf zu Anton und schüttelte den Kopf. Den Weg gehst du allein, wollte er eigentlich sagen, auf diesem Weg trotte ich nicht wie ein alter räudiger Köter hinter dir her, doch er brachte keinen Ton heraus. Er kippte jetzt den längst kalt gewordenen doppelten Espresso hinunter und verzog das Gesicht, er schmeckte bitter, er hatte den Zucker vergessen.
»Du willst ihnen also einfach so mir nichts, dir nichts und ohne jeden Grund die Hälfte unseres Unternehmens schenken?!«, presste er schließlich hervor.
»Wer sagt denn, dass es einfach wird? Du wirst die einfachste Lösung erst noch finden müssen«, sagte Anton und stürzte erneut ein Glas Wasser in sich hinein.
Hans-Ulrich schwieg. Er fühlte sich wie der Geschlagene am Ende einer Schlacht, die er nicht geführt, wie ein Verlierer in einem Spiel, das er nicht gespielt hatte.
»Bisher haben wir draußen im Land für Demokratie gefochten«, erklärte Anton nun, »jetzt werden wir Demokratie in unserem Unternehmen praktizieren. Dies sei eine Zeit des Wandels, hinter der das Blatt nicht zurückbleiben dürfe, hast du vorhin gesagt. Und vor Kurzem hast du erklärt, unsere Mitarbeiter wollen mitbestimmen und am Mehrwert beteiligt sein. Wir ändern nichts, wenn wir selber es nicht anders machen. Nur, wer mitbestimmen will, muss auch mit verantworten. Das ist meine Vorstellung von Demokratie, von mündigen Bürgern. Du musst sie nicht teilen. Wie viel Zeit wirst du für einen ersten Entwurf brauchen?«
Hans-Ulrich starrte, als sie hinter Anton zugefallen war, noch eine ganze Weile benommen auf die Tür. Dann schüttelte er sich, als müsste er etwas, das bleischwer auf seinen Schultern saß, abschütteln. Dann fiel die bleierne Schwere tatsächlich von ihm ab, und eine ungebändigte Wildheit erfasste ihn. Mit einer mehrfachen Drehung seines ganzen Körpers um sich selbst, die an die eines Diskuswerfers erinnerte, schleuderte er das Bündel Seiten mit großer Wucht quer durch den Raum in die gegenüberliegende Zimmerecke, wo es zu Boden flatterte. Atemlos wie nach einem sportlichen Einsatz sah er dann blicklos auf das nun weit verstreut umherliegende Papier, das Drama vom Aufstieg und vom Fall des Hans-Ulrich Hacker vor Augen, vor allem den Fall, die Enteignung, den Platzverlust, und sein Kopf sank hinunter auf seine Brust.
Lange stand er so da, bis sein Blick auf seine Schuhspitzen fiel und er sich jäh an ein anderes Drama aus seiner Schulzeit erinnerte, als er von seinem Klassenlehrer wegen Hausaufgaben, die er nicht gemacht hatte, nach vorn vor die Klasse befohlen und dann in die Ecke des Klassenzimmers geschickt worden war, um sich zu schämen. Dort stand er also mit dem Rücken zur Klasse, für den Rest
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