Goldmacher (German Edition)
vollständig im Safe lag, ausgehändigt worden war. Es handelte sich um jenen Teil, durch den er alles, was Hans-Ulrich ihm verschwiegen hatte, über Hubert Münzer und das Nazigold erfuhr.
»Lies das Manuskript, dann wirst du mich verstehen«, sagte er und begleitete den verdutzten Hans-Ulrich zur Tür. »Und ruf mich an, sobald du es gelesen hast.«
Als Anton zwei Stunden darauf, Hans-Ulrich hatte ihn nicht angerufen, die Tür zu seinem Büro öffnete, starrte sein Geschäftsführer, in die Tiefe seines schwarzen Ledersessels gerutscht, an die Zimmerdecke und rührte sich nicht. Sein moderner Haarschnitt war in völlige Unordnung geraten und an manchen Stellen stand das Haar in Büscheln vom Kopf ab. Vor ihm auf dem Glastisch lag das Manuskript, die Titelseite war aufgeschlagen: » Von Bankiers und anderen Sympathisanten«.
Anton setzte sich Hans-Ulrich gegenüber auf das Sofa. Es gehörte zu der von Leni ausgewählten Designer-Sitzgruppe. Hans-Ulrich hatte trotz der allgemein anerkannten Unbequemlichkeit aus Prestigegründen auf der gleichen Möblierung wie in Antons Büro bestanden.
Nein, er habe das Manuskript nicht gelesen, nur den Titel auf dem Deckblatt, grummelte Hans-Ulrich auf Antons Nachfrage undeutlich durch die Zähne und änderte weder die Blickrichtung noch seine Position. Er müsse es auch nicht lesen, denn er wisse sowieso schon, was darin stünde!
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Anton.
»Meine Hilfe?!« Hans-Ulrichs Blick wanderte von der Zimmerdecke zu Anton, dann rutschte er aus der Tiefe des Ledersessels, kniff die Augen zusammen und schaute Anton misstrauisch an: »Du willst mich also nicht rausschmeißen?«
»Eigentlich müsste ich das tun«, sagte Anton, »du hast mein Vertrauen missbraucht, mich belogen und wichtige Dokumente unterschlagen. Aber ich brauche deine Hilfe«, wiederholte er, griff in die Innentasche seines Jacketts und zog ein dickes Bündel Papier daraus hervor.
Es handelte sich um einen in der ihm bekannten Druckbuchstabenschrift seines Chefs handgeschriebenen Text von fünfundzwanzig Seiten, wie Hans-Ulrich feststellte.
»Das ist das neue Konzept für unser Blatt«, erklärte Anton. »Wie du gleich sehen wirst, ist es ein sehr modernes Konzept.« Er lächelte und zum ersten Mal seit Wochen sah Hans-Ulrich wieder den altvertrauten Schalk in Antons Augen. Unwillkürlich fühlte er sich erleichtert.
»Lies es bitte, ich bleibe hier, bestimmt hast du Fragen«, Anton bestellte bei der Sekretärin Wasser.
»Für mich einen Espresso«, rief Hans-Ulrich durch die Gegensprechanlage, »einen doppelten Espresso!«
Er brauchte dringend Nervennahrung, der gescheiterte Aufbruch ins neue Hacker’sche Zeitalter, der anschließende tiefe Fall ins Bodenlose durch das Manuskript, jetzt die bevorstehende Lektüre, all das zerrte an seinen Nerven.
Hans-Ulrich setzte sich an seinen Schreibtisch und vertiefte sich in den von Anton verfassten Text, Anton sich in die Lektüre internationaler Zeitungen, die Hans-Ulrich abonniert hatte. Doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Mehrfach hatte seine Hand mitten in der Nacht, als er das erste Mal in dem Bericht »Über Bankiers und andere Sympathisanten« las, auf dem Telefonhörer gelegen, um entweder Franz oder Hans-Ulrich anzurufen, doch er hatte sie immer wieder zurückgenommen, sein Misstrauen gegen beide wuchs im Laufe der Lektüre.
Er hatte stattdessen Leni eingeweiht. Sie wurde der Kurier und organisierte die Treffen mit den jungen Autoren. Der aufwendig recherchierte Bericht über die Bankiers sei erst der Beginn einer Serie, die sich mit ähnlich aufwendig recherchierten Berichten über Richter, Ärzte und auch Journalisten fortsetzen würde. Unter der Vorgabe »vorher – nachher«, erklärten die Autoren, würden sie über Parteizugehörigkeiten und Karrieren berichten. »Vorher« aktiver Nationalsozialist, »nachher« demokratischer Politiker oder Träger des Bundesverdienstkreuzes oder hoher und höherer Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst, oder erfolgreicher Unternehmer.
Anton hatte mit Leni auch über Hans-Ulrichs Intrige, seine Veruntreuung, den Vertrauensbruch gesprochen, durch den er und das Blatt nun in eine Schieflage gerieten, die Beerdigung des ehemaligen und im Bericht schwer belasteten Bankiers Hubert Münzer und seine Teilnahme daran, dokumentiert mit einem Foto vor dem Namen mit dem doppelten S in der Schreibweise der Waffen- SS , lagen nicht lange zurück.
Was soll ich denn jetzt
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