Goldmacher (German Edition)
zu- und aneinander vorbeiglitten, das eine stromauf-, das andere stromabwärts.
Auf Wunsch von Sissi setzte er sich später an den gedeckten Tisch im Schatten eines alten Kirschbaums und schaute ihr zu, wie sie mit Moritz und Simon verhandelte, die sich um den ersten Platz auf einem Dreirad mit zwei Sitzen stritten, hörte ihre geduldige Stimme, die er nicht in seiner Erinnerung gespeichert fand, die auch noch durch das Schreien und zänkische Toben der Jungen hindurchklang, als der Streit eskalierte. Doch dann fuhren die Zwillinge plötzlich lachend auf dem Dreirad an ihm vorbei, vorn Simon, dahinter Moritz.
Sissi setzte sich nun zu ihm, schenkte Tee ein und legte ihm ein Stück Erdbeertorte auf den Teller, »selbst gebacken«, sagte sie. Er nahm einen Bissen und lobte die Torte.
Er sei sehr neugierig, weshalb sich Anton seinen Besuch so dringlich gewünscht habe, begann Franz das Gespräch, durch ganz Spanien habe er ihm hinterhertelefoniert, erzählte er weiter, und wie verwundert er gewesen sei, dass der Freund ihn zu sich nach Hause eingeladen und auf einer Übernachtung bestanden habe.
Sissi hörte ihm zu und nickte nur. Franz suchte daraufhin in ihren Augen, in ihrem Gesicht, ja, in ihrer ganzen Haltung nach einem Hinweis, ob sie denn überhaupt eingeweiht sei in den Grund. Als sie sich dann erst nach Lexa und danach auch noch nach Franzi erkundigte, erschrak er. War er ihretwegen hier? Hatten sich seine Töchter politisch radikalisiert? Er hatte mit Anton darüber gesprochen und ihn beschworen, ihn zu jeder Tages- oder Nachtzeit anzurufen, sollte er über seine geheimen Kanäle, und da nahm er auch in Kauf, dass es wohl die von Hans-Ulrich Hacker waren, Hinweise über nicht ganz legale Aktivitäten seiner Töchter, über ihre Gefährdung erhalten.
Als Sissi jedoch im Plauderton fortfuhr, Lexa und Franzi, obwohl nur zehn Jahre jünger als sie, gehörten bereits einer ganz und gar anderen, einer bereits emanzipierteren Generation an, die sich viel mehr Freiheiten nehme, was sie bewundere, ließ Franz erleichtert seinen Verdacht fallen.
Diese Freiheiten, sagte er ein wenig scherzhaft, gingen ihm und Rosi mitunter allerdings entschieden zu weit, wie auch die Freiheit, die sie sich nähmen, völlig unangemessen über ihre Eltern zu richten und sie mit Vorwürfen zu bombardieren.
»Wir hätten uns, anstatt uns mit unseren Untaten und vor allem mit denen unserer Eltern zu konfrontieren, in eine manische Aufbauwut gestürzt, behaupten sie.«
»Oh«, entfuhr es Sissi unwillkürlich, und sie sah ihn erschrocken an. Von Anton hatte sie nur in wenigen Andeutungen erfahren, warum er Franz nach Hamburg gebeten hatte, die ganze Wahrheit hatte er ihr nicht offenbart.
Franz las plötzlich trotzdem deutlich in ihrem Gesicht, worum es ging.
»Es ist wegen des Nazigolds, deshalb will Anton mich sprechen«, sagte er.
»Du weißt es?« Sissi sah ihn überrascht an, Anton hatte gesagt, Franz wisse nichts darüber.
»Ja«, sagte er, dann, von ihrem nun zweifelnden Blick verunsichert, sagte er: »Nein, ich weiß natürlich nichts über dieses ominöse Nazigold, woher auch.«
Sissi nickte nur und vermied es, ihn anzusehen.
»Aber du weißt, was damit gemeint ist?«
»Ja und nein«, sagte Sissi, »ich glaube, es ist besser, wenn Anton es dir sagt, er weiß mehr darüber als ich«, antwortete sie.
Franz war sich plötzlich sehr sicher, dass er keinesfalls wissen wollte, was sich hinter diesem ominösen Nazigold verbarg.
»Zahngold?«, wiederholte Franz und sah Anton fragend an.
»Das Gold aus den Zähnen der Menschen, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden«, antwortete Anton, er sprach es zum ersten Mal so direkt aus.
Franz verstand nicht. Zunächst meinte er, es akustisch nicht zu verstehen. Dann fand er es unverständlich. Nein, das war aber doch auch unmöglich zu verstehen, das konnte doch nur eine Erfindung sein.
Er hörte das schrille Kreischen der Möwen und blickte von den kleinen, flach auslaufenden Wellen, die auf den Elbsand schwappten, über den Fluss, wo ein Schwarm großer weißer Vögel ein stromaufwärts tuckerndes Fangschiff umkreiste.
Anton hatte Franz einen Spaziergang an der Elbe vorgeschlagen. Auf dem Weg den Hügel hinunter zum Fluss hatte er ihm von dem Bericht über »Bankiers und andere Sympathisanten« erzählt, in dem Hubert Münzer, sein Vater, als einer der Direktoren des Bankinstituts genannt wurde, das den Verkauf jenes Nazigolds abgewickelt hatte, über das Franz eigentlich
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