Goldmacher (German Edition)
stark. Francesco sprang auf.
»Was ist? Geht es dir nicht gut? Setz dich, ich hole dir ein Glas Wasser …«
»Ist das der Name?«, unterbrach ihn Laura mit leiser Stimme, fast flüsternd, und hielt ihm das Stück Papier entgegen, noch immer zitterte ihre Hand.
»Was für ein Name?«, fragte Francesco und nahm das Stück Papier. Es war alt und bereits vergilbt an den Rändern. Er faltete es auseinander, auch die Schrift war schon ein wenig verblichen. Trotzdem konnte er die handgeschriebenen Buchstaben noch gut lesen. Sie setzten sich zu dem Namen zusammen, der ihm in den vergangenen Wochen als der Name des Eigentümers von Solotel geläufig geworden war. Unter dem Namen stand das Geburtsdatum, der Geburtsort und eine Reihe von Zahlen. Francesco drehte das Papier erstaunt mehrfach hin und her, wendete es von einer Seite auf die andere. »Was ist das? Wieso zeigst du mir das? Woher hast du das?« Er sah seine Mutter verwundert an.
Sie antwortete ihm und er erfuhr, dass es der Name seines Vaters war, der da auf dem Papier stand. Sie erzählte auch, was passiert war und wie sie es nicht gewusst und dann doch gewusst hatte, dass dieser Deutsche, damals ein Junge, ein junger Soldat, sein Vater war.
Es nahm ihm den Atem. Lange konnte er kein Wort sagen, er starrte nur auf den Zettel in seiner Hand.
Die Zahlen, das sei die Passnummer gewesen, erklärte Laura, sie hatte sie aus dem Pass abgeschrieben. Damals am Morgen dieses Ostersonntags, an dem er ihm seine Brieftasche hatte zurückgeben müssen.
Es war ein Reflex, er sah, wie seine Hand den Zettel zerknüllte. »Ich hasse ihn«, sagte er leise.
Laura nahm Francesco den zerknüllten Zettel aus der Hand und wollte ihn zerreißen.
»Nein!«, schrie Francesco so laut, dass Laura zusammenzuckte und den Zettel fallen ließ. Er nahm sie in den Arm. So lange, bis sie aufhörte zu zittern. Und auch in ihm das Beben abebbte.
»Morgen«, sagte er schließlich zu Laura, »morgen reden wir über alles, morgen werden wir es wissen.«
Er sah das Gesicht von Pia vor sich, dann ihre ganze Erscheinung. Morgen, dachte er, morgen.
Am nächsten Morgen buchte er einen Flug nach München.
9.
Die Türen der Aussegnungshalle wurden geschlossen, und eine große Stille trat ein. Anton schaute zu Boden, das Unfassbare, Franzens Tod, ausgelöst von etwas so alltäglichem wie einer Grippe, wurde ihm in dieser Stille noch unfassbarer. Er fühlte eine große Beklemmung in sich aufsteigen, atmete unwillkürlich tief ein, hob dabei seinen gesenkten Kopf und sein Blick fiel auf das leuchtende Orange von Lianes buddhistischem Nonnengewand. Die Beklemmung löste sich ein wenig. Liane saß nur wenige Plätze von ihm entfernt vor ihm in der ersten Reihe. Das leuchtende Orange kontrastierte zu dem Schwarz der Garderobe von Rosi und ihren anderen fünf Töchtern, und ihr geschorener Kopf zu der Haarfülle, die die Gesichter von Mutter und Schwestern umrahmte.
Wie von seinem Blick berührt, drehte sich Liane um und lächelte ihm zu. Dann stand sie auf und trat an den blumengeschmückten Sarg. Er war von einem Wall aus Kränzen umgeben. Von dort schaute sie zu den Trauernden, dann zum Sarg. Und schaute noch einmal zu den Trauernden, als wollte sie eine Verbindung zwischen ihnen und dem Toten im Sarg herstellen.
»Sie ist noch immer schön«, flüsterte Paula neben ihm und bat Anton leise um ein Taschentuch und tupfte sich die Tränen vom Gesicht. Es hatte Anton überrascht, wie innig Franzens Töchter Paula begrüßt hatten. Sie waren ihr um den Hals gefallen, eine nach der anderen, und hatten sich lange an ihr festgehalten.
»Gold«, hörte er jetzt Liane mit einer klaren, klingenden Stimme in die Stille hinein sagen, und ihr Blick glitt über die Reihen der Trauergäste, streifte ihn und hielt kurz inne.
»Gold gab es von Beginn an in deinem Leben«, fuhr sie fort und wandte sich nun mit einer Drehung ihres ganzen Körpers zum Sarg, und ihre Stimme, ihre ganze Haltung ließen keinen Zweifel daran, dass sie Franz jetzt etwas Wichtiges, sehr Wichtiges über sein Leben erzählen würde. Und das ließ alle Anwesenden aufhorchen, auch jene, die das vorangegangene Ritual der Totenmesse in der Kirche erschöpft hatte.
»Du musstest nur über den Hof gehen«, setzte Liane ihr intimes Gespräch mit Franz fort und trat näher an den Sarg, »zuerst hast du ihn auf dem Arm deiner Mutter überquert, später an ihrer Hand. Und nach nur wenigen Schritten seid ihr schon bei ihm gewesen, beim Goldmacher, du
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