Goldmacher (German Edition)
nach Hamburg gefahren sei und die Eltern ihn jetzt gleich besuchen würden. Ja, jetzt, bestätigte sie. Der Vater habe die Mutter mitten in der Nacht geweckt und zum Aufbruch gedrängt. Er sei mit seinem Sohn Anton zum Mittagessen verabredet, habe er behauptet, mit seinem Sohn, der mit der Jagd auf den Teufel mehr Geld verdiene, als der Goldmacher jemals verdient hatte. Die Mutter sei furchtbar beunruhigt über die Verwirrung des Vaters. Sie rufe jetzt aus der Telefonkabine eines Hotels gegenüber vom Hauptbahnhof an, sagte Judith, um ihn vorzubereiten. Denn wenn die Eltern den Tee ausgetrunken hätten, würden sie aufbrechen, der Vater habe sich vom Kellner bereits den Weg zum Pressehaus beschreiben lassen.
»Also, bis gleich«, sagte Judith gehetzt und hängte ein.
Anton starrte auf den Hörer, er versuchte zu verstehen, fasste sich an die Stirn, wie immer, wenn es darum ging, das Richtige zu tun.
Aber dann konnte er gar nichts mehr tun. Der Vater war beim Verlassen des Hotels in der Hotelhalle zusammengebrochen und auf dem Transport ins Krankenhaus gestorben, wie Judith ihm wenig später weinend am Telefon erklärte. Anton fuhr sofort ins Krankenhaus.
Er lächelt, dachte er, als er dort im Kapellenraum Johann ins Gesicht blickte.
6.
Zu ihrem zehnten Hochzeitstag wünschte sich Rosi eine Reise an Ostern nach Rom. Auf dem Petersplatz wollte sie den päpstlichen Segen empfangen. Insgeheim hoffte sie auf eine günstige Wirkung für die Empfängnis eines Sohnes. Sie hatte bereits Bäder und Kräutersäfte, allerlei pflanzliche Medizin und gute Ratschläge ausprobiert. Sie hatte sogar eine alte Frau am Chiemsee aufgesucht, die Gürtelrose, Unfruchtbarkeit und an den Tagen der Empfängnis das Geschlecht des Kindes besprach. Alles war bisher vergebens gewesen. Jetzt legte sie ihre ganze Hoffnung in den Segen von Il Papa, Pius XII . Denn nicht nur sie, auch Franz war zunehmend dem Druck des Vaters ausgesetzt, endlich einen männlichen Nachkommen, den Namensträger, zu zeugen.
Am Abend vor der Abreise besprach Rosi mit Alexandra alles Nötige. Seit der Rettung durch Plus, wie Alexandra selber ihre Entwöhnung vom Lebenselixier nannte, war sie für Rosi und die Kinder zum ruhenden Pol auf dem Amselhof geworden. Plus hatte geduldig und über Wochen, ja, Monate zu Alexandras Füßen liegend in der Bibliothek ausgeharrt und fern seines gewohnten Hütehunddaseins Alexandras kurze Wege zwischen Lesesessel und Geheimfach beobachtet. Eines Tages jedoch hatte er in einem Ausbruch von Protest nachts alle Kissen auf den Sofas und den Sesseln in der Bibliothek zerrissen, danach war er für mehrere Tage verschwunden gewesen. Alexandra hatte geweint, als er endlich wieder auf dem Amselhof aufgetaucht war. Sie hatte beim Tod von Sepp und Flori nicht und auch nicht bei Franzens Rückkehr weinen können. Jetzt endlich konnte sie es. Von einem Tag auf den anderen hatte sie daraufhin aufgehört zu trinken. Die nun täglichen Spaziergänge mit Plus durch den Wald und am See entlang waren ihr eine Hilfe. Und den Kindern brachten sie warme Fellmützen und Fellmuffe für den Winter, denn Plus jagte nun Kaninchen, um sie Alexandra als Beute dankbar vor die Füße zu legen.
Am Morgen der Abreise verstaute Franz das Gepäck im Kofferraum des Borgward. Die Kinder liefen aufgeregt um den Wagen herum. Noch nie waren die Eltern allein verreist, sie hatten mit ihnen bisher Ausflüge an die Osterseen unternommen und auf die Alm, nicht in ein fernes Land wie Italien.
Franzi, die Zweitälteste, schaute düster. Lexa, die Älteste, Lisa und Emily, die Jüngeren, schlossen sich ihr bald an. Nur Liane, das Baby, lag, im Schlaf lächelnd, in den Armen von Alexandra.
Als Franz und Rosi, sie versuchten den Abschied kurz zu machen, dann im Schritttempo die Auffahrt hinunterfuhren, liefen die Kinder laut protestierend neben und hinter dem Wagen her. Tapfer fuhren sie weiter und die Einfahrt hinaus auf die Straße und winkten den Kindern, die neben der Madonnenstele stehen geblieben waren und ihnen nun stumm hinterhersahen, aus den heruntergekurbelten Fenstern zu.
»Wir rufen heute Abend an«, sagte Rosi und seufzte noch ein paar Mal tief, dann wechselte ihre Stimmung von der Trauer des Abschiednehmens zur Freude über den Aufbruch.
Die Alpen, die sie bei Garmisch erreichten, bescherten ihnen einen schneereichen Wintereinbruch, Franz legte an einer Tankstelle mithilfe des Tankwarts sogar Schneeketten an, während Rosi sich eine Tasse Pulverkaffee
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