Goldmarie auf Wolke 7
würde. »Seit wann kannst du so toll singen?«, flüsterte ich ihm zu, als er auf der anderen Seite neben mir Platz nahm. Doch anstelle einer Antwort bekam ich nur einen weiteren Kuss.
Der Rest des Nachmittags verging wie im Flug. Ich hatte unendlich viel Spaß und ließ mich sogar dazu überreden, Tabu zu spielen, ohne das Gefühl zu haben, mich dabei lächerlich zu machen. Die gesamte Familie O’Noonan war so zauberhaft und liebevoll, dass ich mich schon bald so fühlte, als sei ich ein Teil von ihr.
Womit hatte ich nur auf einmal so viel Glück verdient?
Ich versuchte, den Gedanken an Niki zu verscheuchen, der sich heimtückisch an mich heranschlich. Wovon würde sie in Zukunft ihre Miete für das WG-Zimmer bezahlen? Weinte sie sich womöglich wegen Dylan immer noch die Augen aus dem Kopf?
Konnte man überhaupt glücklich werden, wenn das eigene Glück mit dem Unglück eines anderen Menschen verflochten war?
»Na, Baby, was ist los mit dir? Du guckst so ernst. Küss mich lieber zum Abschied, als dir über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen.« Wir standen an meiner Haustür, nachdem Dylan mich mit Duckface von der Wohnung seiner Eltern in Barmbek nach Hause gefahren hatte. »Mir geht Niki nicht aus dem Kopf, obwohl ich an sich weiß, dass das Unsinn ist. Außerdem habe ich gegenüber Nives immer noch ein schlechtes Gewissen. Das halbe Weihnachtsgeschäft ohne ihre erfahrene Mitarbeiterin zu organisieren, ist bestimmt nicht ganz einfach.« Dylan nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich auf die Stirn. »Du wirst sehen, dass alles wieder gut wird. Nives wird jemanden finden, schließlich ist sie eine gestandene Geschäftsfrau. Es ist doch nicht deine Schuld, dass Niki gekündigt hat. Die hatte früher schon ihre Ausraster, das kannst du mir glauben! Alles wird gut, ich versprech’s dir.« Ich schloss die Augen und versuchte, den Augenblick zu genießen. Dylans Lippen waren warm und weich und ich ließ mich nur allzu gern von dem Gedanken verführen, dass alles ein Happy End haben würde.
Ganz wie im Märchen …
35.
Delba betrachtete sich im Spiegel und spielte mit ihrem tizianroten Haar.
Sie steckte es hoch, ließ es wieder fallen, drehte es zu einem Knoten und flocht schließlich einen Zopf. Die Feenkönigin beobachtete das Tun der Priesterin mit einem liebevollen Lächeln: »Du brauchst keine Angst zu haben, diese Aufgabe ist nicht sonderlich schwer. Alles, was du zu tun hast, ist, an meiner Seite zu bleiben, von mir zu lernen und mich zu unterstützen, so wie du es sonst auch immer machst.«
Doch Delba wirkte nicht besonders überzeugt. »Ich war schon ewig nicht mehr an diesem Ort und verbinde mit ihm äußerst schmerzhafte Erinnerungen, wie ihr wisst.«
Die Feenkönigin seufzte tief und nahm die Hand der Priesterin, die eiskalt war.
Nicht nur auf der Erde herrschte große Kälte, auch in dieser Welt war es über Nacht Winter geworden. »Es ist doch nur für kurze Zeit, meine Liebe. Bitte lass mich nicht im Stich!« Bei diesen Worten wurde Delba warm ums Herz. Ihre Herrin brauchte sie und zählte auf ihre Unterstützung. Keine Frage, dass sie ihr diese uneingeschränkt gewähren würde, notfalls auch um den Preis, dass ihr Herz erneut in tausend kleine Stücke zerbrechen würde.
Denn bald schon würde sie IHN wiedersehen.
Ihre ehemals große Liebe, die sie versucht hatte, aus sich herauszureißen wie ein Geschwür, das sie von innen auffraß. »Ich weiß sehr wohl, was du denkst, und verspreche dir, alles in meiner Macht Stehende zu tun, dass es dir erspart bleibt, ihm zu begegnen. Ich möchte auch nicht, dass alte Wunden aufgerissen werden. Doch manchmal ist es erforderlich, das eigene Wohl und Glück zugunsten eines viel höheren zu opfern. Nicht wahr, meine Liebe, das weißt du doch?«
Delba nickte stumm, während Tränen aus ihren violetten Augen über ihr schmales blasses Gesicht rollten und schließlich nasse Flecken auf ihrem weißen Blusenkragen bildeten. All die Tränen, die sie seinetwegen vergossen hatte.
Sie alle bildeten zusammen ein Meer aus Kummer und Leid.
Würde das denn nie aufhören?
36. Marie Goldt
(Donnerstag, 8. Dezember 2001)
Schlaftrunken schlug ich auf den Aus-Knopf meines Weckers. »Halt die Klappe«, zischte ich und zog mir die Decke über den Kopf. »Nanu? Heute so biestig?«, schallte es plötzlich durch das Zimmer. Im Nu war ich wach. Was machte Lykke denn bitte schön um diese Uhrzeit bei mir? Noch dazu, ohne vorher anzuklopfen? Ich knurrte »Was
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