Goldmarie auf Wolke 7
traute meinen Augen kaum, als ich in diesem Moment auf seiner Fliege kleine Weihnachtsmänner erkannte. Bei meiner letzten Sitzung war es ein Muster aus Sonne, Mond und Sternen gewesen. »Sie vergessen meinen Streit mit Niki«, gab ich zu bedenken. »Die wird sich schon wieder beruhigen, sie ist schließlich in guten Händen«, widersprach Dr. Hahn. In guten Händen? Wie war das denn nun schon wieder gemeint?
»Du hast sehr erwachsen gehandelt, in dem du ihr offen von deiner Verabredung mit Dylan erzählt und nach dem Streit sogar einen Ersatz für den Laden organisiert hast. Mehr konntest du wirklich nicht tun. Wir sind nicht für die seelischen Unzulänglichkeiten anderer zuständig, wir können ihnen nur mit Respekt, Liebe und Umsicht begegnen. Aber wir müssen auch klare Grenzen ziehen.« Im Laufe meiner Sitzungen hatte ich gelernt, dass sein wir genau dasselbe bedeutete, wie bei Krankenschwestern, wenn sie mit Patienten sprachen – also im Grunde gar nichts. Es machte mich allerdings stutzig, dass mein Therapeut zum zweiten Mal von Dingen sprach, von denen er eigentlich nichts wissen konnte. Besaß er am Ende so etwas wie ein Zweites Gesicht? Gruselige Vorstellung!
»Bist du denn glücklich mit ihm?«
»Es ist … traumhaft«, antwortete ich und spürte, wie schwer es mir fiel, in Worte zu fassen, was ich empfand, seit Dylan in mein Leben getreten war. Der Tag mit ihm an der Elbe war einer der schönsten meines Lebens gewesen. »Und wissen Sie, was total merkwürdig ist?« Dr. Hahn betrachtete mich durch seine runden Brillengläser. »Er hat bei einem Gebrauchtwagenhändler exakt die Ente gekauft, die meinem Vater gehört hat. Ist das nicht ein Wahnsinns-Zufall?«
»Ich persönlich glaube nicht an Zufälle, sondern daran, dass alles mit allem verbunden ist.« Demnach war ich also mit Dylan verbunden. Na wunderbar! Trotzdem war ich am Sonntag beinahe in Ohnmacht gefallen, als er mich mit Duckface abgeholt hatte, die ich sofort an ihrer Farbe wiedererkannt hatte. Mein Vater ließ sie damals nämlich dunkellila lackieren, passend zur Farbe des Logos seiner Band Hurricane. »Als ich das Auto sah, hatte ich das Gefühl, dass Papa mir sagen will, dass Dylan der Richtige für mich ist«, erklärte ich, während Dr. Hahn sich krampfhaft darum bemühte, ein Lächeln zu unterdrücken. Nanu?
»Apropos dein Vater. Kann es sein, dass du keine Lust hast, den Brief an ihn zu schreiben, um den ich dich in unserer ersten Sitzung gebeten hatte?« Ich fühlte mich auf der Stelle wie ertappt. Deshalb erklärte ich lang und breit, was alles dazwischengekommen war. Nun grinste Dr. Hahn ganz offensichtlich. »Liebe Marie. Du musst nicht immer alles tun, was man dir sagt. Du bist unter anderem hier, weil es wichtig für dich ist zu lernen, was dir guttut, und dich nicht um jeden Preis anzupassen. Wenn du für dich entscheidest, dass du keine Lust dazu hast oder es dir zu wehtut, dann ist das vollkommen in Ordnung. Kein Mensch denkt deshalb schlecht von dir oder wird dich bestrafen.«
Ein Felsbrocken der Erleichterung polterte von meinem Herzen. Dieser Mann war wirklich ein Phänomen! Lykke hätte sich bestimmt auf der Stelle in ihn verliebt, wenn sie nicht schon hinter Sören her wäre.
Und, na ja, wenn er anders aussähe und ein bisschen jünger wäre natürlich.
Nachdem ich mich von ihm verabschiedet und noch eine Weile mit Jorinde Machandel geplaudert hatte, die mir zum Nikolaus ein Tütchen selbst gemachter Dominosteine geschenkt hatte, trat ich nach draußen. Ich atmete die klare, kalte Winterluft und schnappte mit der Zunge nach den tanzenden Flocken.
Seit Dylan in mein Leben gekommen war, fror ich seltsamerweise nicht mehr so sehr wie sonst. »Ich stricke dir einen Nasenwärmer, du kleine Frierkatze«, hatte er lachend gesagt, als wir im lauschigen Teehaus Witthüs gesessen und Kuchen gegessen hatten. Beim Küssen war ihm nämlich aufgefallen, dass meine Nase so kalt war, als hätte ich gerade an einer Polarexpedition teilgenommen. »Bei Hunden mag das ja noch in Ordnung sein, aber bei dir sollte man wirklich dringend mal was unternehmen.«
»Besser, als wenn ich selbst kalt wie eine Hundeschnauze wäre«, hatte ich gekontert und meine Nase an seiner Schulter gerieben. Dylan lachte. »Das bist du zum Glück wirklich nicht. Ganz im Gegenteil! Du bist einer der warmherzigsten Menschen, die ich kenne. Eben eine echte Goldmarie.«
Anstatt wie üblich zur Bushaltestelle zu gehen, spazierte ich gedankenverloren weiter,
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