Goldmond
Zehntages hier war, obwohl er vorher, sei es in Guzarat, in Bandothi oder auch in Kharisar, immer einen großen Bogen um die Heiligtümer des Syth gemacht hatte.
Er näherte sich dem Garten, der das große Standbild des Syth in der Haupthalle umgab. Viele der Menschen, die hier waren, standen ebenfalls davor. Eine alte Frau harkte sorgfältig frischen roten Sand, den sie auf eine der weniger genutzten Flächen gestreut hatte, und setzte dann einen winzigen Itayabaum in eine Pflanzgrube. Wahrscheinlich bat sie für die Tochter oder den Sohn um Nachwuchs, indem sie dem Garten etwas Lebendiges hinzufügte.
Sinan gefiel der Gedanke, der hinter diesem Garten steckte, mehr und mehr, und er fragte sich, ob es wirklich nur an den Elben lag, dass überall nördlich von Solife dieser Aspekt der Welt bei der Verehrung der Schöpfergeister so vernachlässigt wurde. Das Sinnbild schien überaus vernünftig; jeder konnte zur Veränderung beitragen, nicht vornehmlich, indem er zerstörte, sondern indem er pflegte. Indem er ergänzte und das, was ein anderer begonnen hatte, verschönerte, erweiterte oder gar erst zu vollem Glanz brachte.
Er öffnete die Hand und betrachtete den Gegenstand, den er mitgebracht hatte. Er hatte aus Kupferblech einen kleinen Pavillon geformt, der keine Kreisform hatte, sondern einen unregelmäßigen Grundriss besaß. Zudem hatte er bei einem Kräuterhändler mit einiger Mühe etwas Moos erstanden, das hier in der Wüste selten war, um damit den Quellteich, der zu Füßen der Sythstatue entsprang, neu auszupolstern.
Er hielt nach der Quelle Ausschau. Das Moos, das vor einem Zehntag noch frisch ausgesehen hatte, war verwelkt, obwohl es nach wie vor dem Wasser ausgesetzt war. Sinan nahm es fort, erneuerte es durch sein eigenes und setzte den Pavillon daneben. Dann richtete er sich auf, um sein Werk zu betrachten.
Erst war es ihm seltsam vorgekommen, dass jemand die Wüstenlandschaft mit Pflanzen und Wasser – Elementen, die den Elben gegeben worden waren – bereichert hatte. Doch jetzt schien ihm angemessen, dass dies geschehen war. Einer der Schöpfer der Welt wurde hier geehrt, und diese Welt bestand nicht nur aus den Gaben eines einzelnen Volkes. Der Felsen, aus denen die Quelle entsprang, stand für die Erde, die Höhe der Quelle, über der Landschaft selbst, für die Luft, dann war da noch das Wasser, das die Erde tränkte und dem Moos das Leben ermöglichte. Auch der Nachtfeuerstein, den er in die Quelle gelegt hatte, war dort. Er schien sein Licht an das Wasser abzugeben und es durch sein Feuer zu bereichern.
Sinan fand es nur konsequent, an dieser Stelle der Landschaftein Zeichen für die Verehrung eines Schöpfergeistes zu setzen, wie dieses Tempelchen es war.
»Ein Tempel des Syth an der Quelle, zu seinen Füßen. Ein wahrhaft würdiges Geschenk«, sagte eine Frau neben ihm.
Als Sinan sich umdrehte, sah er Varashti in die Augen. Ihre schlichte Robe, deren Farbe genau zwischen dem Blau des Wassers und dem Rot der Erde schwankte, wies kaum Schmuck auf.
»Hast du dich entschieden, was du tun willst, Schmied?«
Sinan antwortete erst nach einigem Überlegen. »Ich weiß, was ich haben will. Ich will die Kraft meines Arms wiedererlangen. Und es ist meine Absicht, diese Kraft in den Dienst der Welt zu stellen. Ob ich tun kann – oder will –, was Syth von mir für diese Kraft verlangt, weiß ich nicht.«
Varashti nickte. »Das ist nur angemessen.« Sie wandte sich Sinan zu. »Du solltest dich nicht vor dem, was Syth von dir verlangt, fürchten. Dein Ziel klingt nicht sehr verschieden von seinem.«
Sinan dachte eine Weile über das Gesagte nach. »Du meinst also, was er von mir für meine Heilung verlangt, wird mir nicht schwerfallen.«
Varashti schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Vielleicht wird es dir leichtfallen, vielleicht auch nicht. Aber du solltest dir vor Augen halten, dass es nicht im Interesse des Kriegers der Veränderung ist, die Welt zu vernichten.«
»Aber er zerstört, wo Ys aufbaut«, wandte Sinan ein.
»Ein Irrglaube«, gab Varashti zurück. »Kennst du die Sage von der Entstehung der Welt?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und bedeutete Sinan, ihr zu folgen. Sie verließ die Halle und trat in einen Nebenraum. Es war eine Art Bibliothek, nur jeweils ein schmaler Fensterstreifen in drei von vier Wänden ließ Licht herein. Die drei Streifen waren so angebracht, dass sie tagsüber Licht auf einen Arbeitstisch warfen, der mit Schriftrollen
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