Goldmond
überlassen?«
»Nein. Telarion sagt, er will es zerstören. Doch ich weiß, dass er es nur finden will, um es für sich selbst zu nutzen und so die Unanfechtbarkeit seiner eigenen Kräfte zu zementieren. Zu unserem Schaden. Zum Schaden der Welt! Anders kann es nicht sein.«
Wieder ging sie vor der Räucherschale in die Knie. Mit nach wie vor bebenden Fingern steckte sie neue Stäbchen in den rötlich gefärbten Sand der Schüssel und entzündete sie. Die Flammen flackerten violett auf, bevor sie herunterbrannten und zu winzigen Glutpunkten in der Dunkelheit wurden.
Kurz kam Iram der Gedanke, Ireti könnte Unrecht haben. Wer konnte schon den Willen der Schöpfergeister erkennen, wer konnte für sich in Anspruch nehmen zu wissen, was sie für die Welt zu erreichen suchten, die sie geschaffen hatten? Telarion Norandar konnte es nicht, mochte er es auch im Streit mit Tarind behauptet haben. Und wenn er es nicht wusste, woher sollte Ireti dann diese Weisheit besitzen?
Übte seine Schwester Blasphemie, wenn sie für sich in Anspruch nahm, sie wisse es besser als Ys selbst?
Ireti breitete die Arme aus, dann schob sie die weiten Ärmel ihrer Robe, die wie immer aus vielen Schichten dünner Seide bestand, hoch und vergrub ihre Finger im Sand der Schale. Nach einigen Herzschlägen hatte sie gefunden, wonach sie suchte: einen etwa faustgroßen Torus aus Kupfer, dem Metall des Syth. Das Band, das Symbol des Schöpfergeistes der Veränderung – sowie die Alabasterkugel das der Ys war – hatte keinen Anfang, kein Ende und verschlang sich auf vielfältige Weise, ohne sich je selbst zu berühren.
Ireti barg das Objekt in der hohlen Hand und begann ein Gebet zu singen. Iram schwieg und sah ihr dabei zu, wie sie den verschlungenen Torus zum Leuchten brachte.
Als sie geendet hatte, wurde das Kupferband wieder dunkel.
»Worum hast du gebeten?«, fragte er leise.
Ireti blickte auf. Mit Erleichterung erkannte Iram, dass sie wieder zu der inneren Ruhe gefunden hatte, die ihr Wesen sonst auszeichnete. Es war ihm, als sei das Wasser in ihrer Seele, das wütend gekocht und zu tosenden Wellen aufgebraust war, jetzt wieder zu der stillen Tiefe geronnen, die ihr die Macht über die Nebel eingab.
»Man sagt, dieser Torus wurde einst einem unserer Vorfahren von Syth selbst gegeben. Er verlieh ihm damit die Macht, den Menschen das Wort zu bringen. Syth wird mir die Kraft geben, den Fürsten zu besiegen.«
In Iram erwachte erneut Bewunderung für Ireti. Sie verlor nie ihr Ziel aus den Augen.
»Wie willst du das anstellen? Du sagtest selbst, er ist bald in Seleriad und damit im Heiligtum der Ys. Was, wenn er das Siegel dort findet?«
»Es ist dort. Er wird es mithilfe dieser Feuermagierin finden. Doch Syth selbst wird dafür sorgen, dass es nicht zum Äußersten kommt, ich weiß es. Morgen breche ich nach Farokant auf, um mir seinen Segen zu holen.« Sie sah auf den Torus aus Kupfer hinab. »Er wird mich dafür stärken.« Sie hob den Kopf. »Ich werde mit dir in Verbindung bleiben, Bruder.« Sie kam einen Schritt auf ihn zu und barg die Stirn an seiner Brust.
Er genoss die Berührung. Doch als sie sich löste, wollte er protestieren.
Sie unterbrach ihn und hob eine Hand. »Ich werde einen Teil des Heeres mitnehmen und somit nicht alleine sein. Du wirstmit dem größeren Rest nach Sirakand ziehen. Der Zaranth ist ebenfalls gegen uns, wenn auch auf andere Weise. Er ist deine Sache. Ich kümmere mich um Telarion Norandar und die Siwanonstochter. Doch hindere den Zaranthen daran einzugreifen.«
Iram nickte langsam. »Du willst wirklich alleine gehen?«
Ireti hob den Blick. Iram zuckte zusammen, als er den Zorn und die Entschlossenheit darin erkannte.
»Ich bin nicht allein. Der Segen des Zerstörers und Vernichters wird mit mir sein.«
Als Sinan das erste Mal den Tempel des Syth in Farokant betreten hatte, standen beide Sonnen im Zenit. Jetzt war die Rote Sonne beinahe untergegangen und erfüllte die Haupthalle mit rotem Licht. Die Wolken und die stehende Luft hatten sich seit dem letzten Mal nicht geändert und verliehen den letzten Strahlen der Purpursonne eine besonders düstere Note.
Es schien Sinan die richtige Tageszeit zu sein, den Schöpfergeist des Chaos zu besuchen. Dieser Ansicht waren offenbar auch eine Menge anderer Gläubiger, und wieder staunte Sinan darüber, welcher Beliebtheit sich diese Wesenheit bei den Farokanti erfreute. Er rief sich ins Gedächtnis, dass er ebenfalls schon das zweite Mal innerhalb eines
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