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Goldmond

Goldmond

Titel: Goldmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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der Treppe, die hinter der Tür zum Gemach des Ältesten führte, Schritte zu hören. Kurz hielten sie inne, dann öffnete sich der Flügel.
    Eine Frau trat hervor, in die silbergrauen Roben eines Weisen gekleidet. Für ein Kind des Akusu, die den Elben oft klein und untersetzt vorkamen, war diese Frau groß und schlank und reichte ihm bis zum Kinn.
    Telarion hätte beinahe gelächelt, als Sanara Amadian vor ihm stehenblieb. Sie schien keine Furcht zu empfinden, wie sie ihr Volk sonst in Anwesenheit der Kinder Vanars befiel. Als sei sie sich ihres Ranges der Tochter eines der höchsten Menschenfürsten bewusst, erwiderte sie herausfordernd seinen Blick.
    Für einen Augenblick hielt er den Atem an. Über viele Zehntage hinweg war sie zu einer Art Traum geworden. Ihre Eigenschaften, das, was sie ausmachte, waren Erinnerungsfetzen gewesen, ein Duft, ein Klang, ein Sonnenstrahl, der ihm ins Auge fiel. Nun aber stand die Verkörperung dieser Eindrücke, dieser Dinge, die kaum mehr als Gedanken gewesen waren, leibhaftig vor ihm.
    Vorsichtig legte er die Hände auf den Rücken, als könnten seine Finger sonst der Versuchung nicht widerstehen, nach ihr zu greifen. Sie zu berühren, um sich zu vergewissern, dass sie echt und wirklich war. Er wandte sich nicht ab und wagte kaum zu blinzeln, denn auch wenn sein Verstand wusste, dass es Unfug war. Sein Herz fürchtete, der winzigste Augenblick, in dem sein Blick nicht auf sie fiele, ließe sie verschwinden wie einen Traum.
    Er nahm sich die Zeit, sie zu betrachten. Ihre Haare waren nicht mehr von einem darstar umwunden oder hochgesteckt, doch sie fielen ihr auch nicht offen über den Rücken, sondernwaren kunstvoll geflochten und gebunden. Ihre Farbe schwankte zwischen der von reifem, hellem Weizens, und der von dunklem Flachs, den man zu Leinen spinnen konnte. Farben, die dem Spätsommer entsprachen. Als sie ihr von Sommerflecken übersätes Gesicht nach einem höflichen Nicken zu ihm hob, funkelten die bernsteinfarbenen Augen angriffslustig. Sie war alles, was er nicht war. Sommer, Mittag, Licht. Wärme.
    Und es macht sie nur schöner.
    »Daron Norandar«, grüßte sie ihn knapp. Wie alle Menschen schien sie die Worte zu singen.
    Er schüttelte seine Faszination ab und deutete eine Verbeugung an. »Die Schöpfergeister seien mit Euch, Dari Amadian«, erwiderte er.
    Als habe sie nichts anderes erwartet, nickte sie ihm und auch Gomaran, der hinter Telarion stand und schwieg, noch einmal kurz zu, wandte sich ab und ging fort, bevor er seiner Freude Ausdruck verleihen konnte, sie getroffen zu haben. Es war, als gingen beide Sonnen gleichzeitig unter und überließen die Welt mit ihm darin der Dunkelheit. Er hörte kaum, dass Kanau ihn und Gomaran zum Ältesten rief.
    Das Verklingen ihrer Schritte in der Ferne war eines der traurigsten Geräusche, die er je vernommen hatte.

Kapitel 2
    »Der Thaut des Meeres war vom Goldmond aus der Gischt der Wellen geschaffen und mit allem beschenkt worden, was dieser zu geben hatte. Und doch spürte er in sich oft eine Leere, die selbst seine Verehrung für Vanar nicht füllen konnte. Wie die meisten Elben liebte Thautar – denn so nannte man ihn: ›der den Wellen befiehlt‹ –, die Nacht und das Mondlicht. Eines Nachts schwamm er weiter hinaus als sonst, bis zu einem Felsen, der wellenumtost inmitten der See stand und auf dem er dem Vanar ein Heiligtum gebaut hatte. Er erklomm den höchsten Felsen der Insel, auf dessen Spitze ein Tempel stand, der ganz aus Glimmer gemacht war. Dort, mitten im Meer, wollte er seinen Schöpfer fragen, was diese Leere in ihm zu bedeuten hatte.«
    Von den Kriegen zwischen Elben und Menschen
    Vierte Rolle der Schriften des Klosters der Quelle
    D ie Flammen des Herdfeuers loderten auf. Sanara schloss die Augen, ihre Hände beschworen wie von allein die Magie, die dem Feuer innewohnte.
    Dann sah sie sich selbst. Ihr Körper saß vor dem Feuer, doch ihr Seelenbild stand. Es bestand aus Flammen, die erst noch gelblich brannten, zugleich in der Mitte des Raums und in ihr. Sie flackerten bernsteingelb, samtig und warm. Der Rauch ihrer dunklen Kraft, die Nebel zu beherrschen, kräuselte sich darin. Sanara wusste, sie musste in das Feuer hineingehen, um die Jenseitigen Nebel betreten zu können. Doch sie wusste auch, die Magie hatte einen eigenen Willen und musste gezähmt werden.
    Sie erinnerte sich, was der Lehrer ihr gesagt hatte.
    Sieh die Flammen in dir. Greife in dein Feuer und halte es in der Hand. Du hast die

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