Goldmond
Macht darüber. Finde sie in dir.
Sanara sah sich selbst in ihrem weitläufigen Quartier, einem großen Raum, den man in eine Flanke des Berges Simalang gehauen hatte, und der nur nach Süden hin von Maßwerk und einer nach außen offenen Galerie begrenzt wurde. Als sie mit Ronan vor einem Zehntag im Kloster der Quelle angekommen war, hatte man ihr diesen Raum zugewiesen, ein Gemach, das größer war als selbst das Zimmer, das sie im geräumigen Haus ihrer Eltern mit der Amme bewohnt hatte. Es war einer der Gästeräume, die man Feuermagiern zuwies, mit einem Bett in einer windgeschützten Ecke und einer großen Feuerstelle in der Mitte, zu der kreisförmige Stufen hinabführten und wo nun ihr Körper kauerte.
Das Gemach war niedrig, aber geräumig, durchzogen von Säulen, die aus gelbem Granit gestaltet waren, sodass sie aussahen, als züngelten Flammen an ihnen empor. Die Wände waren bemalt mit Motiven aus Sagen und Legenden, die man sich in Guzar und Solife erzählte, Geschichten von Feuergeistern, Lichtwesen und Dschinnen, die Elben neckten und Menschenvolk halfen.
Das Feuer war die einzige Lichtquelle im Raum, in den nur wenig Tageslicht fiel. Es schickte ein flackerndes Spiel von Licht und Schatten an die Wand, das die Geister und Traumwesen dort lebendig erscheinen ließ. Es wurde von duftenden Holzscheiten und Schwarzsteinen gespeist, in das man Kräuter geworfen hatte, die ihr helfen sollten, jene Trance aufrechtzuerhalten, derer die wahre Magie bedurfte. Der Duft war betörend und half ihrer Seele, den Körper zu verlassen.
Beherzt griff Sanaras Seelenbild, das dort stand, wo ihr Körper mit angezogenen Knien saß, mitten in das Herdfeuer hinein und hielt nun eine Flamme in der Hand. Sie hob sie vor ihr Gesicht und starrte hinein.
Sie würde hineinfallen müssen in die lohgelbe Flamme, hinein in ihren dunklen Kern, der das Tor war in die jenseitige Ebene. Doch in diesem Moment sah sie es. Der Kern der Flammewar nicht dunkel, nicht von dem samtigen Schwarz, das ihr so vertraut war. In diesem dunklen Kern leuchtete ein Licht von der Farbe jungen Laubs, eines, von dem eine Brise ausging, die sich in der warmen Dunkelheit, die alles durchdrang, fremd anfühlte.
Frische strich über ihr Gesicht, die ihr so willkommen war wie der Atem des Waldes in einer trockenen Steppe. Die Brise, die ihr aus der Flamme in ihrer Hand entgegenfegte, wurde stärker und nahm ihrem Seelenbild mit der frischen Kälte, die sie mitbrachte, für einen Augenblick den Atem.
Die Funken aus dunkelgelbem, heißem Feuer, aus denen ihr Seelenbild bestand, flackerten auf, geschürt vom Sturm, der seine Quelle in dem Leuchten der Flamme hatte, die auf ihrer Handfläche saß. Dann erfasste der nach Yondarharz duftende Wind auch die letzte Faser ihres Körpers, ergriff ihr Seelenbild und trug sie davon. Es war, als flöge sie aus diesem Raum fort ins Tal unter dem Kloster und ließe die behütende Höhle zurück, die Gebäude der Weisen, die am Fels des Simalang klebten wie Vogelnester.
Der Wind strich sowohl über Sanara hinweg als auch durch sie hindurch, als sei sie ein Kleinod, und löste sogar ihr gebundenes Haar. Und obwohl er sie festhielt und sie nicht fallen ließ, wirbelte sie herum, als sei sie leichter als eine Feder.
Sie stürzte hinein in die sonnige, türkisfarbene Weite des Morgens über den Wipfeln der Wälder, hinauf in die endlose Luft und die Leere dahinter, die zwischen den Sternen herrschte und die nur von einem silbrigen Streifen von Licht dort begrenzt schien, wo der Verstand einen Horizont erwartete.
Die absolute Leere, in der Freiheit …
»Sanara, nein!«
Der Ruck kam zu plötzlich. Er ließ sie taumeln und schmerzte beinahe körperlich, riss sie aus der unendlichen Weite wieder in die Welt zurück, die mit den Sinnen erfasst wurde. Für einen Augenblick schien ihr Brustkorb, der eben noch die Unendlichkeit geatmet hatte, zu eng. Es war, als wolle der feurige Wind, der ihrdie Freiheit gegeben hatte, aus jeder Pore des Gefängnisses ausbrechen, der ihr Körper war.
Verwirrt sah Sanara sich um, während sie nach Luft rang. Warmes, gelbrotes Feuer tauchte einen Raum in flackerndes Dämmerlicht. Die gemalten Traumgestalten und Feuergeister an der Wand warfen lange Schatten und schienen sie vorwurfsvoll anzusehen.
»Hab keine Angst. Du bist wieder hier. Der Wind kann dich nicht mehr forttragen, ich halte dich.«
Eine Hand legte sich auf ihren Rücken. Sie war schwer und schien sie zusätzlich auf den Boden zu
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