Goldmond
drücken, während ihre Seele sich aus dem Körper befreien und wieder fliegen wollte.
Sie versuchte aufzustehen, doch sie strauchelte, denn ihr Körper schien zu viel Gewicht zu haben. Die schlanke Hand hielt sie fest, wollte sie stützen, doch Sanara hatte das Gefühl, als zerre sie sie nur zusätzlich zu Boden. Sie fiel wieder auf die Stufe.
Ein letztes Mal versuchte Sanara, die wunderbare Leichtigkeit, die der Atem des Windes in ihr geweckt hatte, festzuhalten. Die Töne einer Melodie erklangen neben ihr – rot, bernsteinfarben, lohgelb –, schwebten auf sie zu und umhüllten sie. Der frische Atem des Windes zog sich zurück.
Ihr Seelenbild versuchte, die letzten Funken, die das Versprechen von Weite und Freiheit in sich bargen, zu erhaschen, doch es griff ins Nichts. Es tat weh zu sehen, dass der Luftzug, der aus grünen Trieben und jungem Laub zu bestehen schien, zwischen ihren Fingern zerstob wie Asche, die sich in der Luft, die sie umgab, auflöste und verschwand.
Dann war da wieder nur der feine, nach dem Rauch von Schwarzsteinen und Spezereien duftende Geruch, der das Gemach erfüllte, nur der Arm, der sie festhielt.
Sanara unterdrückte die Tränen, die unwillkürlich in ihr aufstiegen.
»Lass mich los!«, schrie sie und sprang auf.
Sie war in ihrem Körper angekommen, und doch schien erzu eng zu sein, diese Höhle, dieses Gemach schien zu eng und zu niedrig. Wieder griff Ronan Abhar nach ihrer Hand, und sie war nicht schnell genug, sie ihm zu entziehen. Der erdige Geruch nach trockenem Laub und Äpfeln im Herbst schlug über Sanara zusammen, als sie plötzlich an der Brust des Musikanten lag und eine trockene Hand ihr über das Gesicht strich. Es war, als streichelten die Finger auch die Erinnerung an die luftige Weite, den zarten Wind, der sie hielt, fort.
Verzweiflung packte sie, als sich die letzten Reste der Morgenfrische aus ihr zurückzogen und der warme, herbstliche Geruch überhandnahm.
»Nein!«, wehrte sie sich und stieß Ronan mit den Händen von sich. »Lass mich los! Ich kann …« Sie rang nach Luft. »Ich kann so nicht atmen!« Sie wandte sich um und rannte hinaus auf die Galerie, die vor der Wand aus Maßwerk verlief und so für Dunkelmagier eine zusätzlichen Schutz vor der Grenzenlosigkeit der elbischen Elemente Wasser und Luft bildete. Doch Sanara hatte keine Angst vor dem Abgrund. Sie stürzte auf die gemauerte Balustrade zu und beugte sich weit über sie hinaus.
Erst hier, viele Klafter über dem bewaldeten Talgrund, schien sich ihre Lunge wieder mit Luft zu füllen. Vager Duft von frischgeschlagenem Yondarholz wehte in Form einer Brise heran. Der Duft weckte die Erinnerung an eine kühle Hand, die sich auf ihre Wange legte. Doch wieder verschwand der Eindruck unter dem herbstlichen Geruch von reifen Äpfeln und trockenem Laub.
Das weckte Zorn in ihr.
Auf einmal hielt sie eine kleine Schale in der Hand, wie sie allenthalben im Kloster zu finden waren, kleine, dünnwandige Becher, die man mithilfe eines Klöppels zum Schwingen brachte und die halfen, die Trance aufrechtzuerhalten, die magische Übungen oft erforderten.
Ohne sich zu besinnen, warf Sanara die Schale in die Richtung, aus der der Geruch kam.
»Geh fort!«, schrie sie aufgebracht und warf den daneben liegenden Klöppel gleich hinterher. »Ich bekomme keine Luft, wenn du da bist!«
»Autsch!«
Der Musikant hatte der Schale ausweichen können, die nun mit lautem Klappern kurz vor der sorgfältig gemauerten Vertiefung, in der das Feuer brannte, zu Boden fiel und die Stufen hinabrollte. Doch der schwere Bronze-Klöppel traf ihn mit Wucht an der Stirn.
Erbost, dass er nichts sagte und sie nur mit milder Überraschung ansah, tastete Sanara nach neuen Dingen, die sie nach ihm werfen konnte. Doch hier auf der Galerie fand sie keine. Mit einem wütenden Schnauben wandte sie sich von ihm ab und beugte sich wieder über die Brüstung der Galerie in den steten, aber sanften Wind, der aus dem Tal heraufwehte.
Für einen Augenblick hatte sie den Eindruck, der Wind lache über diesen Ausbruch.
Dieser Eindruck schwand jedoch, als Ronan hinter sie trat.
»Ein Zorn, der einer Feuermagierin würdig ist«, sagte der Musikant. Seiner Stimme war anzuhören, dass ihn die Wut seines Schützlings amüsierte. »Es tut mir leid, dass dich die Magie des Norad-Fürsten – Akusu verfluche ihn – noch so belastet«, fuhr er ernst fort. »So sehr ich mich dafür hasse, was ich dir antat, als ich das Lied des Syth sang, so hatte ich
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