Goldmond
entreißen, nicht vergessen, Dari. Und auch nicht, was er bewirkte.«
»Nein, wie könnte ich vergessen, was Ys uns beiden sagte?«, erwiderte Sanara mit erstickter Stimme. Ihr war, als strichen seine Finger wieder über ihren Körper. »Und was sie uns schenkte, als sie uns allein …«
»Genug!«, unterbrach er sie so heftig, als fürchte er, dass sie es aussprach. Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Nur, was Ys über das Siegel sagte, ist von Belang! Dass der Schöpfergeist Euch und mich auswählte, es zu finden, und dass Ihr und ich so das Gleichgewicht in der Welt wiederherstellen könnten. Alles andere ist unwichtig!«
Sanara konnte nur nicken.
Die Enttäuschung über seine heftige Reaktion war so bitter, dass sie kaum schlucken konnte. Sie selbst fühlte sich aufgewühlt von Sehnsucht, dem Drang, ihn zu berühren und die gleichen Gefühle wieder wachzurufen, die sie in dem Augenblick durchflutet hatten, als Ys sie in die Arme des Elbenfürsten gegeben hatte. Als sie sich lieber hatte töten wollen, als sich ihm zu unterwerfen – und doch mit dem Wunsch erwacht war, er möge es wieder und wieder versuchen.
Während Sanara also alle Kräfte aufbieten musste, um ihren inneren Aufruhr der Höflichkeit unterzuordnen, die ihm als Fürst zweifellos gebührte, blieb er kalt und ruhig.
Sie wich seinem Blick nicht aus und schob trotzig das Kinn vor.
Als habe er bemerkte wie sehr er sie verletzt hatte, fuhr er sanfter fort. »Seid versichert, Mendari, ich glaube an den Auftrag, den Ys uns gab. Es war nicht Tarind, der Dajaram tötete, auch wenn er es zuließ. Oder vielleicht befahl, das weiß ich nicht. Er tötete auch Euren Vater nicht allein mit mir, auch wenn ich das damals nicht erkannte. Seine Gemahlin Ireti Landarias ist für beide Taten verantwortlich – womit die Frage Eures … Gefährten auch beantwortet wäre. Sie ist eine Seelenherrin wie Ihr und diejenige, die hinter der Entscheidung meines Bruders stand, sich die Herrschaft über die Leiche unseres Vaters hinweg anzueignen. Nach Tarinds Tod verbannte sie mich und nahm die Krone der Elben für sich selbst. Sie war es, die – zusammen mit ihrem Halbbruder Iram – den Krieg hinter dem Rücken der Fürsten und hinter dem meinen schürte. Sie ist diejenige, die dem Chaos dient und damit allem, was ich verachte. Sie dient der Zerstörung, und sie ist es, die das Leben in jeder Form missachtet. In ihr kam Syth, der Schöpfergeist des Chaos und der Vernichtung des Lebens wieder in die Welt. Der Auftrag der Ys lautete, das Siegel zu finden und zu zerstören, sodass die Welt wieder Frieden finden kann. Und so ist sie es, die mit dem Siegel aufgehalten werden muss.«
Telarions Stimme war hart und kalt, und Sanara sah, dass die Finger, die den Kelch mit Wein bisher locker gehalten hatten, auf einmal an den Knöcheln weiß wurden.
»Und damit bin ich beim Grund meines Besuches bei Euch angelangt, Mendari Amadian«, sagte er nach einer Pause, in der er sich wieder gefangen hatte. »Seid Ihr bereit, Ys’ Willen zu folgen und mit mir das Siegel zu suchen?«
Er richtete seinen fremdartigen Blick direkt auf sie, und Sanara konnte nicht sagen, was genau in diesem Blick lag, Hoffnung, eine Bitte – oder einfach nur die Ermahnung, ihre Pflicht zu tun.
Sein Benehmen ließ vermuten, dass es sich nur um Letzteres handeln konnte. Um nichts weiter.
Sie erwiderte den Blick, doch sie konnte nicht antworten. Einerseits wollte alles in ihr zustimmen. Das Siegel und seineBergung waren der Grund ihres Hierseins, der Grund, dass sie sich jeden Tag mit der kalten Sturmmagie in ihr auseinandersetzte und der Grund, in ihren Bemühungen nicht aufzugeben. Erst jetzt wurde ihr klar, wie gut er das Gespräch geführt hatte – Elben waren nicht umsonst Meister der Worte. Sie konnte diese Aufforderung kaum noch ablehnen.
Sie wusste genau wie er, dass sie die Seelenherrin war, die das Siegel finden musste, denn es lag in den Jenseitigen Nebeln – und die konnte ein Elb nicht betreten. Er brauchte ihre Hilfe, wenn er die Aufgabe der Ys erfüllen wollte.
Nichts wäre für sie also vernünftiger und logischer gewesen, als der Aufforderung des Fürsten Norandar zu folgen. Und doch sah Sanara sich selbst einen Augenblick später erstaunt dabei zu, dass sie aufsprang und den Kopf schüttelte.
»Wie könnt Ihr das nur erwarten?«, stieß sie hervor. »Ihr konntet mich schon zuvor nicht dazu zwingen, Euch zu unterstützen und Euch oder Eurem Haus den Thron der Elben zu erhalten
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