Goldmond
von Norad, gerufen, dessen Heilkünste legendär waren. Er hatte sie zwar geheilt, doch dann war ein Wortgefecht entstanden, das TelarionNorandar so zornig hatte werden lassen, dass er ihr das Leben nehmen wollte. Eisiger Sturm hatte Sanara eingehüllt und ihre Lebensflammen eine nach der anderen erstickt. Doch in dem Moment, in dem auch die letzte Flamme in den rasend wirbelnden Eiskristallen des Fürsten zu verschwinden drohte, hatte sie sich im Heiligtum der Ys wiedergefunden. Ein einsamer Tempel auf dem höchsten Gipfel des Zendar-Gebirges, weit über der Welt.
Sanara wusste bis heute nicht, ob sie leibhaftig oder nur ihr Seelenbild dort gewesen war. Wahrscheinlich Letzteres, und auch Telarion Norandar war dort bei Ys gewesen. Der Schöpfergeist hatte ihnen beiden gesagt, dass die Welt nur Frieden erhalten würde, wenn sie das Siegel, das sie einst geschaffen hatte, fänden. Es war geschaffen worden, um ihren Gegenpart Syth, den Schöpfergeist der Zerstörung, aus der Welt zu bannen, und musste zerstört werden. Syth hatte genauso seine Berechtigung, in der geschaffenen Welt zu leben, wie Ys selbst. Erst, wenn man ihm dieses Recht zubilligte und es nicht mehr ausschloss, würde es sich nicht mehr mit Gewalt Bahn brechen.
Das Siegel ist sowohl in der Jenseitigen Leere, in der Syth lebt, als auch hier in dieser Welt. Kein Herr des Lebens könnte es ohne einen finden, der den Nebeln befiehlt. Kein Seelenherr könnte es bergen, ohne dass sein Geist ans Leben gebunden würde. Ich habe euch gewählt. Nur ihr werdet das vollbringen können, doch einer nicht ohne den anderen.
Wie, um diese Prophezeiung zu bekräftigen, war in dem Moment, in dem Ys die Worte sprach, in Sanara der Wunsch erwacht, den Elb, der neben ihr stand, in die Arme zu nehmen. Diesen Fürsten, der alles war, was sie nicht war. Der Feind ihrer Familie, ihres Volkes und ihrer selbst; der Elb, von dem sie immer gewusst hatte, dass er das Volk des Dunkelmonds hasste, dass er den Tod ihres Vaters gebilligt, wenn nicht sogar mit verschuldet hatte, und der daran beteiligt gewesen war, unzählige Menschen zu versklaven und zu unterdrücken.
Und der doch so gerechten und ernsten Sinnes war, begangeneFehler einzusehen für diese einzustehen und sich dafür einzusetzen, sie wiedergutzumachen. Zu ändern, was er als falsch erkannt hatte, und der den Mut besaß, für das einzutreten, an was er glaubte.
Dieser Elb, dessen innerstes Wesen sie verstand, seit sie dort, im Heiligtum der Ys, nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele mit ihm geteilt hatte.
Sanara blieb auf der Galerie stehen, die zu ihrem Quartier führte, und beugte sich weit über die durchbrochene Mauer, die sie begrenzte. Eine leichte Brise strich über ihr Gesicht und kühlte die Wangen, die beim Gedanken an die Finger Telarions, die über ihren Körper strichen, aufgeglüht waren. Doch dann wurde ihr bewusst, dass der Wind, wie immer hier im Kloster, nach Yondarharz roch – der Duft, den der Fürst in sich trug, wohin auch immer er ging. Verzweifelt riss Sanara sich von der Mauer los und rannte in ihr Gemach. Sie musste dieses Gefühl in sich löschen, diese endlose Sehnsucht, die doch nie erfüllt werden konnte!
Nichts, aber auch gar nichts in seinem Verhalten hatte in den letzten Zehntagen darauf hingewiesen, dass die Vision, die sie beide in den Tempel der Ys geführt hatte, auch in Telarion einen solch nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte wie in ihr.
Und sie war sich dessen so sicher gewesen! Wie oft hatte sie gedacht, dass er jetzt, in diesem Augenblick, gleich nachgeben und sagen würde, dass die Liebe, die Sanara für ihn empfand, erwidert würde. Dass er das Gleiche für sie fühle.
Doch immer hatte er sich im letzten Moment zurückgezogen und hatte geschwiegen.
Sanara ging mit großen Schritten zu dem kleinen Tischchen hinüber, auf dem eine Schale mit gelben Früchten und ein Becher mit süßem Wein aus roten Beeren standen. Sie stürzte den Wein hinunter, doch die Worte des Fürsten bei ihrer Vereinbarung zum gemeinsamen Lernen vergaß sie auch danach nicht.
Ich bin geschmeichelt, dass dieses Erlebnis beim Schöpfergeist der Harmonie einen solchen Eindruck bei Euch hinterließ. Und doch, Mendari, lasst uns nicht vergessen, was vor uns liegt. Es ist wichtiger als das, was wir gemeinsam träumten.
Scham befiel sie beim Gedanken an diese Worte – schien doch der Fürst erreicht zu haben, was sie seitdem vergeblich versuchte: den Zauber, den Ys ihr geschenkt hatte,
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