Goldmond
kaum zu erkennen. Ihre nachtdunklen Haare wurden ihr von einer unfühlbaren Brise wieder und wieder ins Gesicht geweht. Nur dort, wo man Augen erwartet hätte, glommen düster zwei blauviolette Punkte.
Ronan wusste nicht, wo sich ihr Körper aufhielt, aber als er das letzte Mal von ihr gehört hatte, hieß es, sie sei mit ihrem Gemahl auf dem Weg nach Solife. Er wusste, welch ungeheure Kraft es kostete, ein Seelenbild über so große Entfernungen zu schicken.
Ihr solltet gehen, Königin. Überlasst die Seele meiner Geliebten mir.
Der Geist schwieg. Doch er verschwand nicht.
Ronan kümmerte sich nicht darum, sondern schickte weiter Töne von warmer Schönheit zu der Frau, die neben ihm schlief.
Er war sicher, dass ihn nichts mehr würde von ihr trennen können.
Kapitel 5
»Syth aber ging nach Süden. Dort, unter den Bergen von Kantar, fand er einen Ort, der seinem Wesen entsprach. Die Höhlen dort waren tief, dunkel und voller Geheimnisse, sie bargen Schönheit und die Möglichkeit in sich, zur Heimstatt von vielen Wesen zu werden, die an der ständigen Gestaltung teilhaben wollten oder auch ihr Ergebnis waren. Es war ein Ort, so heiß wie die Oberfläche der Purpursonne, die die Gestalt des Syth in dieser Welt ist, wie die Gestalt der Ys ein silberner Mond in der Nacht ist. Die Erde dort ist rot und leuchtend wie die größere Sonne selbst. So zog sich der Schöpfergeist der Veränderung in die Höhlen tief unter dem Berg Farokant zurück und gestaltete sie mit den Kräften, über die er gebot, schöner als es sich je ein Mensch oder ein Elb vorstellen könnte. Und bis zum heutigen Tag sind nur Akusu selbst und seine Geschöpfe in der Lage, ihre wahre Schönheit zu erkennen.«
Von der Schöpfung der Welt
Erste Rolle der Schriften des Klosters der Quelle
N ie hatte Sinan geglaubt, dass er eine Stadt vermissen könnte.
Gestern noch hatte ihn Wüste umgeben. Die Landschaft war weit gewesen, auch wenn sich in den letzten Tagen die ersten Ausläufer des Kantar-Gebirges am Horizont abgezeichnet hatten, an deren Fuß sich die Stadt Farokant befand. Doch zuvor hatten die Nomaden und Sinan den Vanion-See überquert. Der See war eigentlich ein Salzmeer, doch in diesem Jahr war er ausgetrocknet, und so hatten sie nicht um die weite weiße Fläche herumgehen müssen.
Sinan war froh, dass dieser Abschnitt der Reise hinter ihm lag.Zu sehr hatte die Wanderung über die krustige, brüchige Fläche ihn an die Zeit in der Leere erinnert, wo die Kälte wartete – auch wenn die beiden Sonnen gleißend auf den salzigen Boden niederbrannten und wahrscheinlich selbst das Eis Telarion Norandars hätten schmelzen lassen. Die Luft flirrte, und obwohl jeder von ihnen ein Tuch vor das Gesicht gebunden hatte, reizte der salzige Staub, den jeder Schritt aufwirbelte, Nase und Augen. Sinan hatte das Gefühl, alle zehn Schritte zum Wasserschlauch zu greifen, und litt doch ständig Durst.
Obwohl sie den Teil des Sees, über den sie hatten gehen müssen, in einem Tag und einer Nacht hinter sich gebracht hatten, hatte Sinan nur schwer sein Unbehagen verbergen können. Wohin man auch sah, der Blick stürzte in die Ferne und wurde von nichts begrenzt. Kein Berg, kein Baum, kein Bach – nicht die geringste Erhebung, an der das Auge sich festhalten konnte.
Zudem war es still gewesen. Nur wenig Leben hatte sich im Licht der beiden Sonnen gerührt. Lediglich der Klang des Windes, das Rauschen der ständig wandernden Dünen und das gelegentliche Schnauben der Unguli hatten die erhabene Stille unterbrochen, so als sei die Karawane das letzte Leben auf der Welt. Die Nomaden hatten nicht einmal gesungen oder sich gegenseitig Geschichten erzählt. Sprechen – oder Singen gar – kostete Kraft und reizte zusätzlich zur salzigen Luft die Kehle.
Sinan atmete tief ein und blinzelte. Die Unterschiede zwischen diesem letzten Reiseabschnitt und dem Ort, an dem er sich befand, hätten nicht größer sein können. Diese Stadt am Fuß des Gebirges bestand aus engen Gassen, von denen kaum eine breiter als zwei Klafter war und voller Menschen. So viele Menschen, dass Sinan überlegen musste, wann er das letzte Mal eine solche Zahl lebendiger Wesen an einem Ort gesehen und erlebt hatte. Es waren so viele, dass er immer wieder angerempelt wurde und selbst immer wieder gegen Leute stieß. Das Bündel, das er bei sich trug, klirrte wieder und wieder, sodass er öfter nachsah, ob man ihm in der Menge nichts gestohlen hatte.
Und doch wehrte Sinan sich nicht und
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