Goldmond
sagte Ronan mit einem Seitenblick auf den Ehrwürdigen. »Ich habe mich vielleicht geirrt.«
»Warum glaubst du das?«, forschte der Älteste und betrachtete Ronan aufmerksam. »Liegt es vielleicht daran, dass du das Fremde, Unnatürliche, das ich seit einiger Zeit im Tempel spüre, auch nicht finden kannst? Zweifelst du deshalb an dir?«
Ronan biss die Zähne zusammen. Erst gestern Nacht war Königin Ireti ihm nach dem Gebet des Akusu gegenübergetreten und hatte ihn erneut davor gewarnt, dem Fürsten zu trauen. Sie war zornig geworden, als er ihr berichtet hatte, Sanara werde heute die Weihe erhalten und damit die Berechtigung und die Fähigkeit, das Siegel zu finden.
Wusste Seine Ehrwürdigkeit davon? Er fragte sich, ob die Königin es war, die der Abt spürte. Seine Ehrwürdigkeit Morotand Gintar war ein Halbelb, der die Gabe des Lebens und derFeuer besaß und die Gesänge des Todes und der Nebel zumindest kannte, auch wenn er selbst den Nebeln nicht zu befehlen vermochte. Es war durchaus möglich, dass er die Anwesenheit der Herrin der Elben in dem Reich spürte, über das er der Herr war.
Ronan räusperte sich. Es fiel ihm schwer, seinen Lehrer und Meister zu belügen, und doch brachte er es nicht fertig, die Wahrheit auszusprechen.
»Ich werde heute Nacht noch einmal danach suchen, wenn Ihr sicher seid, Ehrwürdigkeit.«
»Ich vertraue dir, Ronan Abhar. Tu es im Tempelraum des Syth, der der Erste war, der Kraft aus den Nebeln der Leere bildete. Vielleicht hilft seine Anwesenheit dir dabei.«
Ronan nickte. Er hörte die Freundlichkeit in Morotands Stimme. Sie schmerzte.
»Auch du musst dich bereitmachen«, sagte sein Lehrer jetzt. »Ich habe Nachrichten aus dem Süden erhalten. Du musst für uns auf dem schnellsten Weg dorthin reisen. Diese beiden müssen allein gehen.«
»Was ist mit dem Hauptmann des Fürsten?«, wollte Ronan unwillig wissen. Wenn er schon von der Reise dieser beiden ausgeschlossen wurde, sollte zumindest der Vertraute des Daron Norandar ebenfalls nicht mitgehen.
»Der Hauptmann ist mir nicht verantwortlich. Er gehorcht nur dem Fürsten, und was dieser für Pläne mit ihm hat, weiß ich nicht. Doch er wird die beiden nicht begleiten. Daron Norandar sagte, er habe Aufträge im Osten für ihn«, sagte Morotand vage.
Wieder glitt Ronans Blick zu Sanara und dem Elben hin. Er wandte sich auch nicht ab, als er sah, dass sich Sanaras Finger in die des Fürsten schlangen. Ronan hielt den Atem an. Er erwartete, dass Telarion Norandar sich, kühl und hochmütig, wie er war, der Berührung des ehemaligen Schankmädchens entziehen würde. Ronans Herz flog Sanara entgegen, denn er wusste, wie enttäuscht sie sein würde.
Doch der Fürst reagierte unerwartet. Er hielt zunächst still, sichtlich überrascht, dann senkte er den Blick und betrachtete mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, wie ihre Hand die seine liebkoste. Es war deutlich, wie sehr ihm gefiel, was sie tat, und beinahe selbstvergessen ließ er seinen Daumen über ihre Handfläche gleiten, bevor seine Fingerspitzen neugierig ihren Unterarm hinaufkrochen.
Ein Lächeln glänzte in Sanaras Gesicht auf, und Ronan zog es das Herz zusammen, als er daran dachte, wie bitter es für sie wäre, wenn der Fürst sein eisiges Selbst erst wiederfände. Und das würde geschehen. Einer wie er vergaß nie, was er sich schuldig war.
»Ronan Abhar!« Die Stimme des Ehrwürdigen klang nachdrücklich. Ronan fuhr zu ihm herum. »Ronan Abhar, hast du verstanden? Du bist einer der Weisen. Handele danach. Das Schicksal der Welt ist wichtiger als das, was wir selbst uns wünschen. Geh in den Süden der Welt. Du wirst dort gebraucht.« Er folgte Ronans Blick und sah auf Sanara und den Elb. »Glaube nicht, ich wüsste nicht, was du empfindest. Doch wir dienen der Ys. Sie befahl, das Siegel zu zerstören, und schenkte diesen beiden die Gaben dafür. In Sanara Amadian ließ sie diese Gaben von ihren Zwillingssöhnen segnen.«
Ronan hörte kaum zu. Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis Telarion Norandar seine Finger aus Sanaras Griff löste. Doch als es geschah, war es keine Geste der Ablehnung. Es geschah langsam, beinahe zärtlich.
Ronan schloss die Augen und kämpfte den Sturm der Eifersucht nieder, der ihn ergriffen hatte.
»Die beiden stimmen mich traurig«, sagte der Ehrwürdige leise, und Ronan bemerkte erstaunt, dass Morotand voller Gram auf seine Schülerin und den Fürsten schaute. »Wenn wir an Ys glauben und das, was sie schenkt, dann
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