Goldmond
– dem, der in die Berge führte – erwarten.
Ein letzter Blick galt den Dschinnen und Feuergeistern an der Wand, die für Sanara zu Gefährten geworden waren. In der letzten flackernden Glut des fast heruntergebrannten Feuers in der Mitte des Zimmers wirkten die leicht reliefartig gearbeiteten Gemälde lebendig. Ihre Augen verfolgten Sanara, als sie zur Tür ging, und schienen ihr einen Abschiedsgruß zuzuflüstern.
Den Drachen, den man auf die Tür geschnitzt hatte und dessen Auge aus dem Stein bestand, den man Drachenauge nannte und der von einem irisierenden Braun war, streichelte Sanara noch einmal. Diese Gestalt aus einer alten Legende war immer die letzte der Geister an der Wand gewesen, die ihr einen guten Tag gewünscht hatten.
»Ich werde wiederkommen«, versprach sie ihm und glaubte es in dem Moment sogar.
Das Drachenauge flackerte auf, als verstünde es ihre Worte.
Doch im Vorbeigehen konnte Sanara nicht sagen, ob es nicht vielleicht ihr eigener Schatten war, der ihr einen Streich spielte.
»Kommt, Mendari. Wir sind noch nicht weit.«
Der Tempel lag bereits weit unter ihnen, nur das silbrige Funkeln des Daches der Haupthalle war noch in der Nacht zu erkennen. Sanara konnte sich nur schwer von seinem Anblick losreißen. Sie wusste, dies würde – vielleicht für lange Zeit – der letzte Blick sein, den sie auf diese Stätte erhaschte.
Hier in den Bergen war es kühler als dort unten, wo der Tempel geschützt vor allzu heftigem Wetter am Ende eines engen Tals lag. Sanara hatte ihren Umhang bereits eng um die hataka geschlungen, doch jetzt schien die Kälte noch einmal stärker zu werden. Sie nahm links hinter ihr Gestalt an und wurde zu einem dunklen Schatten, als Telarion Norandar neben sie trat.
»Wir dürfen noch nicht rasten, Menda-« Er unterbrach sich, und als er fortfuhr, konnte Sanara an seiner Stimme hören, dass ein Lächeln über sein Gesicht huschte. »Verzeiht. Ich werde Euch ab heute Shisani nennen, wie es Euch gebührt. Ihr seid keine Herrin von Adel mehr, sondern eine Weise.«
Telarion Norandar meinte es gut, das wusste sie. Doch sie war nicht in der Stimmung für Höflichkeit und erwiderte nichts.
»Kommt«, sagte er wieder, sanfter diesmal, und berührte sie kurz an der Schulter. Dann ging er weiter. Seine Schritte entfernten sich unerbittlich.
Schweren Herzens wandte sie sich von dem Ort ab, der ihr in den letzten Mondumläufen zur Heimat geworden war.
In den nächsten Stunden schwiegen Sanara und ihr Gefährte. Solange es dunkel blieb, folgten sie dem Weg. Als aber die ersten Vögel ihre noch leisen Stimmen erhoben, verließ der Fürst den schmalen Trampelpfad und zog das daikon hervor, dessen hölzerne Scheide in den Falten seiner Schärpe steckte. Abseits des Weges wuchs dichtes Gebüsch aus Königsfarn und anderem Gesträuch, dessen riesenhafte Wedel das Vorankommen im unwegsamen Gelände erschwerten.
Er wandte sich nur selten um, ging langsam vor ihr her, hielt aber nie an. Nicht einmal, als die Weiße Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont schickte, blieb Telarion Norandar stehen – obwohl Sanara es erwartet hatte. Sie wusste seit dem gemeinsamen Unterricht, dass er es an kaum einem Morgen versäumte, der Tageszeit des Vanar die Referenz zu erweisen. Sie hielt mitihm Schritt, doch war einige Klafter hinter ihm. So konnte sie nicht einmal sehen, ob er wenigstens das Zeichen des Goldmonds schlug.
Es war ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig ihm und auch dem Ältesten ein rascher und verborgener Aufbruch gewesen war. So als fürchteten beide feindliche Spione im Tempel, die versuchen könnten zu verhindern, dass sie und Telarion Norandar das Siegel fänden. Sanara war sicher, dass dieses Misstrauen nicht vom freundlichen Abt, sondern vom Fürsten ausgegangen war. Er hatte mit einem Seitenblick auf Seine Ehrwürdigkeit bestimmt, dass sie erst zum Ende der Roten Stunde anhalten und Telarion seiner Reisegefährtin dann den genauen Grund für die Eile erklären wollte.
Es war ein weites Stück Weg und schien Sanara beinah zu lang, doch sie hatte nicht widersprochen und sich vorgenommen durchzuhalten, als auch Morotand ohne Protest zugestimmt hatte.
Sanara schüttelte ungeduldig den Kopf, als sie an die Szene zurückdachte. Der Fürst und ehemalige Heermeister hatte sie sofort nach der Verkündung dieses Beschlusses – dieses Befehls! – zu ihrem Zeichen beglückwünscht, als käme er gar nicht auf die Idee, sie könnte ihn kommentieren oder ihm gar
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