Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
noch den Berg abstützten. Mit wie viel menschlichem Schweiß waren sie hier festgekeilt worden! Aber es war nur mehr eine Frage der Zeit, wann die Galerien einstürzen würden.
Wir arbeiteten von Neuem weiter. Noch immer kam Gold zum Vorschein. Der Fels war wie ein nie enden wollendes Füllhorn. Immer wieder schnitten sich Bergkristalle und Quarze in unsere Knie, doch auch das Blut der zerschundenen Hände beachteten wir nicht. Erst langsam machte uns das Dunkel der Stollen unsicher, und wir ermatteten. Die Stimmen der anderen, so nahe sie auch waren, erreichten mich nur noch dumpf.
»Was ist, wenn der Berg plötzlich zusammenbricht?« Schon der Gedanke machte Angst. Niemand würde uns finden. Irgendwo tropfte Wasser herunter. Nicht viel. Zum Glück. Die Stollen waren viel trockener als andere dieser Gegend. Wie mochte es wohl den früheren Bergarbeitern hier drinnen ergangen sein? Täglich der Gestank von Schweiß, Krankheit und Exkrementen! Jahrelanges Kriechen in den engen Stollen und Gängen, die teilweise nicht einmal einen halben Meter hoch waren. Ein Leben ohne Licht. Uns verriet immerhin der Detektor das Gold. Der Mineraloge Reinhold hatte doch recht behalten. Wir sahen vor uns, was er beschrieben hatte. Im Quarz an den Randzonen zum Schiefer und den Kalken glänzte es hervor.
»Haben dieses Gold und diese Mineralien vielleicht ein Langzeitgedächtnis vom Beginn ihrer Entstehung bis zum Heute?« Der Gedanke war mir plötzlich in den Sinn gekommen. Der Mineraloge Georg Kandutsch erklärte, wie vor dreißig Millionen Jahren Afrika gegen Europa gestoßen war und große Gesteinsschollen in Dutzende Kilometer Tiefe gepresst hatte. Dabei handelte es sich um alten Meeresboden eines Urmeeres, um vulkanische Gesteine sowie frühere Ablagerungen von Sanden, Korallen und Meerestieren. Und überall darin gebunden große Mengen an Wasser, die aufgeheizt wurden, ihrerseits aus den magmatischen Gesteinen das vorhandene Gold herauslösten und es an bestimmten Stellen anreicherten. So lebendig können Geologie und Geschichte der Erde sein.
Die beiden unzertrennlichen Zwillinge Pallaoro gerieten sich wie so oft in die Haare. Nicht wegen des Goldes. Sie brüllten sich an und bewarfen sich gegenseitig mit Steinen. Im nächsten Augenblick war wieder Ruhe, als wäre nichts geschehen.
»Schau, es ist so, als wenn du dir mit dem Hammer auf den Finger schlägst. Dann ärgerst du dich, musst dich aber wieder mit dir selbst anfreunden.«
Allmählich lernte ich das eine Ich in zwei Personen verstehen. Nie waren mir Zwillinge begegnet, die sich so unfassbar ähnlich waren. Die bunte Truppe mit ihren unterschiedlichen Charakteren war längst zusammengewachsen.
Ein schweres Stück Quarz kam zum Vorschein. Wir schätzten, dass es sicher ein halbes Kilogramm reines Gold enthalten musste, und es blieb nicht das einzige. Wir hatten das Gold der Alpen gefunden, schätzten das Gesamtgewicht auf fünf bis sechs Kilogramm. Die Schatzkarte hatte unsere Erwartungen mehr als übertroffen.
»Gold findest du dort, wo du es suchst!«
»Gold is there where you look for it!«
»L’oro si trova dove lo cerchi!«
Michael Wachtler, Innichen, Südtirol
1
Zillertaler Alpen, an der Grenze zu Österreich, Samstag, 2. Juli
Der Österreicher Georg Kandutsch betrachtete das Türscharnier in seinen Händen.
»Zufällig liegt das hier jedenfalls nicht rum«, stellte Michael Wachtler fest, der das verrostete Ding als Erster in der Geröllhalde entdeckt hatte.
Die beiden Mineralogen waren zusammen mit Sara Gasser, der umtriebigen, aber zugleich introvertierten Archäologin, und Alexander Thaler unterwegs. Der schweigsame alte Mann war bis vor einigen Jahren einer der besten Bergführer Südtirols gewesen. Heute ging er nur noch allein oder mit den wenigen Freunden ins Gebirge, die ihm die Treue gehalten hatten, nachdem er sich in seine einsame Berghütte zurückgezogen hatte. Ein schwerer Schicksalsschlag hatte ihm schon vor langer Zeit seine Lebensfreude genommen, doch niemals hatte er mit jemandem darüber gesprochen. War er schon vorher eher verschlossen gewesen, hatte sich diese Eigenschaft in der Folgezeit so sehr verstärkt, dass ihn die meisten Menschen mieden. Heuer hatte ihn als einer der wenigen verbliebenen Kontakte Michael angesprochen und gefragt, ob er Lust habe, an einer kleinen Expedition teilzunehmen. Den Naturkundler zog es wieder in die Berge. Er besaß zwar ein bekanntes Museum in Innichen, das DoloMythos, und darüber hinaus
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