Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
schwerer Schicksalsschlag den Bergführer schon in jungen Jahren ereilt hatte. Vincenzo hätte sich gern intensiver mit Wachtler als Mensch ausgetauscht, doch das ließ der Fall nicht zu. Er musste die notwendige Distanz wahren, was weiterhin zu dem Kuriosum führte, dass Wachtler den Commissario duzte, der ihn jedoch umgekehrt konsequent siezte. Als Vincenzo das Gespräch auf das Gold lenkte, erfuhr er denn auch, was Thalers Gruppe gefunden haben könnte, was es wert war und wie es sich zu Geld machen ließ.
Der Naturkundler hielt es für wahrscheinlich, dass die Gruppe an die sechzig Kilogramm Berggold gefunden haben könnte. Beim derzeitigen Kurs würde das allein einem reinen Goldwert von über zwei Millionen Euro entsprechen.
Eher unsicher war sich Wachtler allerdings hinsichtlich der Frage, was in diesem Stollen noch an Kultgegengenständen, Schmuck oder anderen menschlichen Kunstwerken lagern konnte. Der eine Goldring war ein Hinweis darauf, dass die Stollen wahrscheinlich nicht nur zum Abbau von Gold gedient hatten. Vielleicht verbarg sich dort die Grabstelle eines Souveräns, vielleicht sogar aus der Zeit der Räter und Kelten. Oder noch plausibler: Es war ein bisher unbekannter Kultort.
Nach dem Gespräch über Thaler führte Wachtler den Beamten in sein Museum und zeigte ihm zunächst den Goldring mit dem aufgesetzten Nugget. Nur kurze Zeit später hielt Vincenzo ein Bergkristallaggregat in Händen, das über und über von Berggold übersät war.
Ein Sammler wäre bereit, ihm dafür mehr als zehntausend Euro zu bezahlen, versicherte Wachtler. »Das Gold, das du in Händen hältst, stammt von meinem eigenen Goldfund am Monte Rosa. Das Gold, das Thalers Gruppe gefunden haben könnte, sollte ganz ähnlich aussehen, jedoch kleine Unterschiede in Beschaffenheit und Reinheitsgrad aufweisen. Vielleicht bekommst du ja jetzt eine Vorstellung davon, warum man von Goldrausch und Goldfieber spricht. Und warum Menschen diesem Metall auf so fatale, zerstörerische Weise verfallen können.«
Wachtler legte das Gold zurück in die mehrfach gesicherte Vitrine und führte Vincenzo in einen anderen Raum, wo er ein Kristallkreuz aus einer größeren Auslage nahm. »Hiervon habe ich euch schon bei eurem ersten Besuch erzählt.« Er reichte dem Commissario das Kreuz. »Sieh es dir genau an. Wenn es sich um eine Kultstätte handeln sollte, haben sie in der jahrhundertealten Mine mit Sicherheit auch so etwas gefunden. Möglicherweise sogar aus reinem Gold. So ein Fundstück ist vom Wert her nicht zu beziffern. Zudem ist es unverkäuflich, weil jeder Experte sofort erkennen würde, woher es stammt. Fundstücke wie dieses sind für Museen, für die Öffentlichkeit bestimmt.«
Vincenzo betrachtete das Kreuz von allen Seiten. Es war wunderschön, auch wenn es nur auf einem Bronzesockel aufgesetzt, nicht mit Edelsteinen verziert und seine Verarbeitung nicht die beste war. »Wenn ich einen ebenso leidenschaftlichen wie skrupellosen Sammler finden würde, Michael«, Vincenzo hatte sich dazu entschlossen, Wachtler zu siezen, aber immerhin mit Vornamen anzusprechen, »was wäre der bereit, dafür zu zahlen?«
»Vergiss es.«
»Nur mal angenommen …«
Wachtler lächelte wissend. »Einige Millionen. Aber das Risiko wäre zu groß. Wie du die Goldsucher beschrieben hast, haben die, Sara mal ausgenommen, keine Ahnung davon, aber Sara würde solche Stücke niemals veruntreuen. Sie hat eine ausgeprägte Berufsehre, ist ohnehin durch und durch ehrlich. Die anderen hätten kaum eine Chance, einen solchen Fund im Originalzustand zu verwerten. Kunst kann man nicht reinwaschen, geschmolzenes Gold aber schon. Nein, ich denke, sie würden die Fundstücke einfach einschmelzen, um das Gold in Barrenform zu verkaufen, auch wenn sich der Wert dadurch erheblich vermindern würde.«
Vincenzo starrte den Mann an, der in der Neuzeit den bis dato größten Goldfund in den Bergen gemacht hatte. »Sie wollen mir weismachen, dass jemand ein derartig kostbares Kleinod einschmelzen würde, nur um einen Bruchteil des Wertes in Geld zu erhalten?«
Wachtler nickte. »Ich befürchte es, ja.«
21
Bozen, Dienstag, 24. April
Vincenzo war bereits in Wanderkluft ins Büro gefahren. Er wollte seinen Kollegen die vielen Neuigkeiten berichten, bevor er mit Mauracher erneut nach Norden aufbrach. Diesmal ins Pfitschtal mit dem Ziel Hochfeiler beziehungsweise dessen Nordwestflanke. Mauracher hatte sich schon um die notwendige Berg- und Kletterausrüstung
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