Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
konnte. Und er war mittlerweile wahrhaftig wieder gut in Form! Zudem wurde der Schnee mit jedem Meter Anstieg tiefer. Wenigstens waren der Kaltluftvorstoß der Vortage und die damit verbundenen Schneefälle schwächer ausgefallen als vorhergesagt. Das meiste davon war im Wetterstein und im Karwendel hängen geblieben. Vincenzo musste an sich halten, um nicht laut zu keuchen. Das Sprechen fiel ihm schwer. »Sagen Sie mal, Sabine, wollen Sie heute einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen, oder warum rennen Sie so?«
Mauracher sah ihren Vorgesetzten erstaunt an. »Sie finden das schnell? Ich hatte gedacht, Sie wären sportlich? Außerdem haben Sie selbst gesagt, dass wir möglichst heute wieder absteigen wollen.«
»Sie haben ja recht«, brummte Vincenzo und zwang sich, sich wieder auf seine Schritte und Atmung und nicht auf die Schönheit der traumhaften Landschaft und die Aussicht auf den eingeschneiten Hochfeiler zu konzentrieren. Sie gingen exakt dieselbe Route wie die Pflerschtaler Goldgräber im vergangenen Herbst. Da sie nicht wussten, wie lange die Suche nach Sara Gasser und sonstigen Spuren dauern würde, hatten sie das Notwendigste für eine eventuelle Übernachtung in der Hochfeilerhütte mitgenommen. Die Hütte selbst war nur in den Sommermonaten geöffnet, doch der Winterraum war immer zugänglich. Sie erreichten ihr potenzielles Quartier nach zwei Stunden, eine passable Zeit – schon im Sommer ohne Schnee.
Die Polizisten setzten sich auf die kleine Terrasse, um etwas zu essen. Nachdem es frühmorgens noch nach Schnee ausgesehen hatte, war vormittags die Sonne rausgekommen. Der Blick zum Gipfel war herrlich. »Ah, das tut gut«, seufzte Vincenzo. »Sosehr ich Schnee und Kälte auch liebe, im April bin ich doch schon eher auf Sonne und Wärme eingestellt.«
Mauracher wollte gerade ansetzen zu erzählen, dass der Winter für sie kaum lang genug sein könne, weil vom Eisfallklettern eine ungeheure Faszination ausgehe, als sich Vincenzos Handy meldete. Marzoli.
»Gerade kam eine Meldung rein, Commissario. Auf Christine Alber ist wahrscheinlich ein Giftanschlag verübt worden. Ein Arzt aus der Klinik in Sterzing hat sie untersucht und die Carabinieri vor Ort benachrichtigt. Die Kollegen waren schon bei ihr im Hotel, haben sie befragt und eine verdächtige Wasserflasche beschlagnahmt. Was machen wir jetzt mit der Meldung?«
Vincenzo schloss für einen Moment die Augen. Sieben Menschen brechen zu einer Goldsuche auf. Zwei kommen um, vermutlich auf nicht natürliche Weise, einer begeht Selbstmord, einer wird seitdem vermisst. Und nun wird auf einen der drei verbliebenen Expeditionsteilnehmer ein Anschlag verübt. Es schien, als kämen scheinbar nur noch zwei der Gruppe als Täter in Frage. Dabei sprachen die Indizien eigentlich eher gegen Kofer. »Schnappen Sie sich einen Kollegen und fahren Sie sofort ins Pflerschtal, Ispettore! Nehmen Sie Kofer und Ferrari ins Kreuzverhör. Die Flasche muss schnellstmöglich zu Reiterer. Und finden Sie heraus, wer wann die Gelegenheit hatte, das Wasser zu vergiften, sofern es denn wirklich so war. Wenn wir heute Sara Gasser finden, gibt es nur noch zwei mögliche Täter. Und rufen Sie mich anschließend sofort wieder an. Ich will auf dem Laufenden gehalten werden. Vielleicht können wir ja dann schon einen Haftbefehl beim Staatsanwalt beantragen. Sieht ganz so aus, als hätten wir es diesmal mit einem erfreulich simplen Fall zu tun.«
Rasch informierte Vincenzo seine Kollegin über die Neuigkeiten, bevor sie sich in Diensten des Staates wieder auf den Weg machten. Sollten sie Sara Gasser finden, wäre der Fall so gut wie gelöst. Spätestens nach einer Weile in Untersuchungshaft würde der Täter einbrechen.
Bald schon hatten sie den Südwestgrat des Hochfeiler erreicht. Der Weg war abgesehen von einigen gesicherten Kletterpassagen einfach. Allerdings ging es rechts senkrecht in die Tiefe, und sie mussten höllisch aufpassen, nicht auf eine Wechte zu treten. Die häufigen Nordwetterlagen hatten den Schnee über den Grat geweht, wo er sich an einigen Stellen zu lebensgefährlichen Überhängen verdichtet hatte, die frei über dem Abgrund zu schweben schienen. Geriet man auf eine tückische Wechte, die brach, war man verloren. Ganze Seilschaften waren auf diese Weise bereits ums Leben gekommen. Doch Vincenzo ahnte, dass er sich keine Sorgen machen musste. Mit einer Sicherheit, die er nur von Hans kannte, manövrierte Mauracher ihn an jeder potenziellen Gefahrenstelle
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