Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
gekümmert. Sosehr es Vincenzo auch in seinem Stolz traf, bei diesem Einsatz sollte die kleine, junge Mauracher das Kommando übernehmen, denn sie verfügte im Vergleich zu ihm über ein Vielfaches an hochalpiner Bergerfahrung. Weil ihre Tour lang und anstrengend werden würde, immerhin waren fast zweitausend Meter Höhenunterschied und ein paar Kletterpassagen zu überwinden, trafen sich die Polizisten schon um halb sieben und waren damit die Ersten in der Questura.
Während Mauracher die pure Lust auf die Bergtour ausstrahlte, maulte Marzoli ununterbrochen. »Nicht zu fassen. Erst halb sieben. Da hatte man endlich mal wieder ein schönes langes Osterwochenende mit der Familie, und dann muss man aus dem Haus, während die anderen gerade erst frühstücken. Hätte das nicht Zeit bis morgen gehabt, Commissario?«
Vincenzo schob Marzoli lachend die Etagere zu. »Seien Sie doch nicht so griesgrämig. Nehmen Sie sich lieber ein paar Cantuccini. Das beruhigt. Und nein, es hätte nicht warten können. Wir haben bereits vier Tote, und die fünfte Leiche werden wir vielleicht heute finden. Apropos Leiche. Habt ihr die verbliebenen fünf Schmiede inzwischen erreicht?«
»Ja«, erklärte Marzoli. »Wie erwartet hat keiner von ihnen den Hauptschlüssel von Burg Reifenstein nachgemacht. Theoretisch könnten wir natürlich auch in den nahen Städten des Trentino recherchieren.«
Vincenzo wehrte sofort ab. »Nein, das geht in diesem Stadium zu weit. Wo sollten wir denn die geographische Grenze ziehen? Dann könnten wir genauso gut in Innsbruck recherchieren. Spielt dieser Schlüssel überhaupt eine Rolle in unserem Fall? Ein Schlüssel, den man ohne Schlüsselkarte eigentlich gar nicht nachmachen lassen kann? Ich glaube, ich erzähle euch lieber, was ich von Wachtler erfahren habe.«
Während der Commissario berichtete, musste er immer wieder zu Mauracher hinüberschielen, die nervös auf ihrem Stuhl hin- und herwippte. Sie wollte raus, in die Berge, in ihr Element. Wie wandelbar diese Person doch war. Mittlerweile kannte er zwei unterschiedliche Gesichter. Die Polizei-Sabine, die kesse Freundin Sabine, und bald schon würde er die Berg-Sabine erleben. Drei völlig unterschiedliche Geschöpfe, aber jedes für sich liebenswert und sympathisch. Als er erzählte, unter welchen Umständen er den Bergführer gefunden hatte, war ihr anzusehen, dass sie dessen Schicksal mitnahm. Raue Schale, weicher Kern, diese Redensart traf auf Mauracher hundertprozentig zu. Vincenzo hoffte, dass sie möglichst lange in seiner Abteilung bleiben würde.
Er schob die Fotografien über seinen Besprechungstisch, die ihm Wachtler zum Abschied für die Ermittlungen mitgegeben hatte. »So sieht das Gold aus, wenn man es findet. Es gibt klare Regeln, wem es gehört, alles ist in Gesetzen festgehalten. Natürlich bekommt der Finder seinen Anteil, aber auch der Staat, der Grundbesitzer und gegebenenfalls der Stollen- oder Konzessionsinhaber erhalten ein großes Stück vom Kuchen. Hinzu kommt bei bedeutenden Fällen noch die Wissenschaft. Bei Statuen wie denen, die ihr auf den Bildern seht, hat auch sie Rechte an dem Fund. Wenn man auf Geld aus ist und es mit den Gesetzen nicht so genau nimmt, tut man also gut daran, seinen Fund außer Landes zu schmuggeln und auf dem Schwarzmarkt anzubieten. Dabei handelt es sich um ein waschechtes Bargeschäft. Wie in den guten alten Zeiten. Heinrich Gamper oder wer auch immer von unseren Goldsuchern den Fund zu Geld gemacht hat, hatte wahrscheinlich irgendwann mehrere Millionen Euro im Gepäck. Für uns heißt das: Ab morgen nehmen wir die Profile der Goldgräber genauer unter die Lupe. Dann können wir uns auch eine Vorstellung davon machen, wer bei dieser Aktion welche Funktion hatte und wer aus dem Weg geräumt werden konnte, nachdem er oder sie diese Funktion erfüllt hatte.«
* * *
Hinteres Pfitschtal
Vincenzo und Mauracher stiegen rasch über den Wanderweg mit der Einser-Markierung in südöstlicher Richtung auf. Den Wagen hatten sie in der dritten Kehre des Pfitscher Jochs auf eintausendsiebenhundertzehn Meter Höhe abgestellt. Einmal mehr stellte der Commissario fest, dass die zierliche Statur seiner jungen Kollegin in einem krassen Gegensatz zu ihren tatsächlichen Kräften stand. Sie trug wie er Skier und einen Rucksack, der rund zehn Kilogramm wiegen musste. Und obwohl die Relation zu ihrem Körpergewicht eine gänzlich andere war als bei ihm, legte sie dennoch ein Tempo vor, dem Vincenzo kaum folgen
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